Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 9. November 20231 ein von der EU-Kommission verhängtes Bußgeld gegen das Unternehmen Altice wegen vorzeitigen Vollzugs einer Transkation weitgehend aufrechterhalten und damit ein weiteres Mal den EU-Wettbewerbshütern in ihrer strikten Verfolgung von Verstößen in diesem Bereich den Rücken gestärkt. Bereits im Juli 2023 hatte die EU-Kommission in der Rechtssache Illumina/Grail2 ein Rekordbußgeld in Höhe von EUR 432 Mio. gegen das Unternehmen Illumina wegen eines Verstoßes gegen das Vollzugsverbot verhängt und auch erstmalig das Zielunternehmen (Grail) mit einen (symbolischen) Bußgeld belegt.
Nach Art. 4 Abs. 1 der EU Fusionskontrollverordnung3 sind Zusammenschlüsse, bei denen die Parteien die Umsatzschwellen der FKVO erfüllen, vor ihrem Vollzug bei der EU-Kommission anzumelden (Anmeldegebot). Zusätzlich besagt das sog. Vollzugsverbot nach Art. 7 Abs. 1 FKVO, dass anmeldepflichtige Zusammenschlüsse ohne eine Freigabeentscheidung der Behörde von den Parteien nicht vollzogen werden dürfen. Bei einem Verstoß gegen diese Vorschriften (sog. „Gun Jumping“) drohen den Parteien, wie die beiden jüngsten Entscheidungen in Sachen Altice und Illumina/Grail zeigen, empfindliche Bußgelder, die bis zu 10% des Jahresumsatzes der Unternehmen erreichen können.
Altice meldete im Februar 2015 bei der EU-Kommission den Erwerb der alleinigen Kontrolle über PT Portugal an, nachdem der Unternehmenskaufvertrag (SPA) im Dezember 2014 geschlossen worden war. Die Kommission gab die Transaktion unter Auflagen im April 2015 frei.
Rund drei Jahre später verhängte die EU-Kommission ein Bußgeld in Höhe von insgesamt EUR 124,5 Mio. gegen Altice.4 Nach den Feststellungen der EU-Kommission hatte Altice gegen Art. 4 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 FKVO verstoßen, da bestimmte Klauseln des SPA Altice bereits vor Freigabe ein Vetorecht gegen geschäftspolitische Entscheidungen von PT Portugal verschafften und Altice in den täglichen Betrieb von PT Portugal einbezogen gewesen sei. Der Umstand, dass Altice und PT Portugal sich über sensible Informationen ausgetauscht haben, belege zudem, dass Altice vor der Freigabeentscheidung durch die EU-Kommission einen bestimmenden Einfluss über das Zielunternehmen ausgeübt habe.5
Das EuG bestätigte im Jahr 20216 den von der EU-Kommission festgestellten Gun Jumping Verstoß, reduzierte aber den Teil der Geldbuße wegen Verstoßes gegen. Art. 4 Abs. 1 FKVO um ca. 10% auf rund EUR 56 Mio. In seinem Urteil aus November 2023 bestätigte der EuGH die Entscheidungen von EU-Kommission und EuG, reduzierte aber erneut das Bußgeld wegen des Verstoßes gegen Art. 4 Abs. 1 FKVO auf nunmehr rund EUR 53 Mio. Das Bußgeld wegen Verstoß gegen das Vollzugsverbot nach Art. 7 Abs. 1 FKVO hielt der EuGH, wie zuvor auch schon das EuG, unverändert aufrecht.
In einer in dieser Konstellation sicher einzigartigen Rechtssache verhängte die EU-Kommission im Juli 2023 gegen das Gentechnik-Unternehmen Illumina ein Rekordbußgeld in Höhe von EUR 432 Mio. wegen Verstoßes gegen das Vollzugsverbot. Illumina hatte im August 2021 den Erwerb des Krebsforschungsunternehmens Grail vollzogen, während ein Fusionskontrollverfahren vor der EU-Kommission noch in vollem Gange war. Die Entscheidung von Illumina zum Vollzug vor Freigabe wurde einerseits durch eine sehr hohe break-up fee von USD 300 Mio. geleitet, die bei Rücktritt vom SPA zu zahlen gewesen wäre. Andererseits bestritt Illumina parallel (und bis heute) im gerichtlichen Verfahren7 die Kompetenz der EU-Kommission, den Zusammenschluss überhaupt fusionskontrollrechtlich aufgreifen zu können.8 Die in Abwägung der finanziellen Risiken gegen ein Abwarten des Erhalt der Freigabe bewusst getroffene Entscheidung Illuminas, die Transaktion zu vollziehen, wertete die Kommission als schwerwiegenden Verstoß und schöpfte daher den Bußgeldrahmen voll aus.
Von Bedeutung ist auch das Bußgeld in Höhe von EUR 1.000 gegen Grail, das nach Ansicht der EU-Kommission eine aktive Rolle bei dem Verstoß spielte. Da hier die EU-Kommission erstmalig ein Bußgeld gegen eine Zielgesellschaft verhängte, beschränkte sich die Behörde auf ein der Höhe nach symbolisches Bußgeld. Künftig können Zielunternehmen in vergleichbaren Fällen wohl höhere Bußgelder erwarten.
Die jüngsten Entscheidungen auf europäischer Ebene zum Gun Jumping geben Anlass, die wichtigsten Grundregeln zur Kartellrechts-Compliance bei der Vorbereitung und Durchführungen von M&A Transaktionen festzuhalten:
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