Seit dem 6. März 2024 kann die Europäische Kommission („Kommission“) die nach dem DMA bestehenden Rechtspflichten der im ersten Schwung benannten Gatekeeper durchsetzen – und die Einleitung der ersten Verfahren der Kommission wegen Verdachts auf Nichteinhaltung hat nicht lange auf sich warten lassen. Neben der öffentlichen Durchsetzung des DMA können zudem auch Privatparteien vor den nationalen Gerichten die Einhaltung der Rechtspflichten einklagen sowie Ersatz des Schadens verlangen, der durch einen DMA-Verstoß entstanden ist. Dabei können sich die Kläger in Deutschland auf die klägerfreundlichen Vorschriften zum Kartellschadensersatz berufen.
Der zum 1.11.2022 in Kraft getretene DMA verfolgt das Ziel, die Bestreitbarkeit digitaler Märkte zu fördern. Das Gesetz soll insbesondere zugunsten von gewerblichen Nutzern, die zum Vertrieb ihrer Produkte auf die großen Online-Plattformen der Gatekeeper angewiesen sind, ein faires Marktumfeld schaffen und Innovatoren neue Möglichkeiten bieten, im Umfeld von Online-Plattformen zu konkurrieren. Unternehmen, die mittels Entscheidung der Kommission als Gatekeeper benannt sind, werden hierzu bestimmte unfaire Praktiken untersagt, die die Bestreitbarkeit der Märkte untergraben (z.B. Beschränkungen bzgl. des Vertriebs, Datennutzung und Interoperabilität).1
Die ersten Unternehmen, die von der Kommission im September 2023 als Gatekeeper benannt wurden (Apple, Alphabet, Meta, Amazon, Microsoft und ByteDance), hatten bis zum 6. März 2024 Zeit, um den Verhaltenspflichten nach Art. 5, 6 und 7 des DMA nachzukommen.2 Von diesen Pflichten sind nur einzelne „zentrale Plattformdienste“ der Gatekeeper erfasst. Die Kommission leitete nur weniger Tage, nachdem sie eine Reihe technischer Workshops mit interessierten Stakeholdern zu den getroffenen Maßnahmen zur DMA-Compliance hielt, die ersten Verfahren gegen die Gatekeeper ein.3
Der DMA enthält keine konkreten Regeln für die private Rechtsdurchsetzung. Wie bei Kartellschadensersatzklagen ist es Sache des nationalen Gesetzgebers, entsprechende Regeln zu schaffen. Deutschland hat in dieser Hinsicht eine Vorreiterrolle eingenommen. Mit Umsetzung der 11. GWB-Novelle wurden die Kernvorschriften für die zivilrechtliche Verfolgung kartellrechtlicher (Schadensersatz-)Ansprüche auf DMA-Verletzungen erstreckt. Diese Regeln, qua ihrer Funktion als verlängerter Arm der Kartellrechtsverfolgung, sind klägerfreundlich ausgestaltet, was künftigen DMA-Klägern Rückenwind gibt.
Als Kläger infolge von DMA-Verletzungen kommen insbesondere (i) die Geschäftspartner der Gatekeeper und (ii) deren Wettbewerber in Betracht. Auch Verbände können für ihre Mitglieder klageberechtigt sein. Sogar Verbraucher können von den Vorschriften des GWB profitieren, obgleich es aufgrund der regelmäßig geringeren Betroffenheit und der Informationsasymmetrie gegenüber den Gatekeepern weniger wahrscheinlich ist, dass sie eine Klage erheben. Ein Ausgleich wird über das neu eingeführte Verbraucherrechtsdurchsetzungsgesetz (VRUG) geschaffen, wonach es Verbrauchern möglich ist, Ansprüche im Wege einer Sammelklage geltend zu machen (Opt-in-Modell).
Marktteilnehmer, die von DMA-Verstößen unmittelbar oder mittelbar betroffen sind, können Beseitigungs- oder – bei drohender Gefahr eines Verstoßes oder dessen Wiederholung – eine Unterlassungsklage erheben. Die Ansprüche können auch im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes nach den allgemeinen zivilprozessrechtlichen Regeln verfolgt werden. Daneben können die betroffenen Marktteilnehmer einen Anspruch auf Schadensersatz geltend machen.
Gemäß Art. 39 Abs. 5 DMA dürfen die nationalen Gerichte keine Entscheidung treffen, die einer Entscheidung der Kommission zuwiderlaufen. Die nationalen Gerichte sind daher an den Benennungsbeschluss der Kommission gebunden, ohne dass es eines weitergehenden Nachweises der Stellung als Gatekeeper durch den Kläger bedarf. Gleichzeitig ist dieser Beschluss Mindestvoraussetzung einer Klage, da ohne diesen die Verpflichtungen des DMA nicht gelten.
Liegt zusätzlich auch ein Nichteinhaltungsentscheidung der Kommission vor, sind die nationalen Gerichte auch hieran gebunden. Im Fall von follow-on Schadensersatzklagen, folgt die sog. Bindungswirkung unmittelbar aus § 33b S. 1 GWB. Dann ist lediglich nachzuweisen, ob und in welcher Höhe ein Schaden entstanden ist. Auch wenn die Kläger im Rahmen von stand-alone-Verfahren nur vom Benennungsbeschluss profitieren können, kommt eine Beweiserleichterung in Betracht, denn im Behördenverfahren ist es Sache des Gatekeepers, die Einhaltung der Regeln des DMA nachzuweisen, Art. 8 DMA. Obgleich Art. 8 DMA nicht unmittelbar auf private Rechtsstreitigkeiten anwendbar ist, spricht einiges dafür, dass die deutschen Zivilgerichte die gleiche Beweislastverteilung annehmen, jedenfalls aber – wie im Kartellschadensersatz – deutlich geringere Anforderungen an den Nachweis des Verstoßes stellen werden.
Geschädigte können im Rahmen von Schadensersatzverfahren von den erweiterten Auskunfts- und Beweisrechten des § 33g GWB profitieren. Hiernach kann ein Geschädigter vom Gatekeeper oder Dritten die Herausgabe von Beweismitteln verlangen, die für die Geltendmachung seines Schadensersatzanspruchs erforderlich sind. Dafür müssen diese hinreichend konkretisiert sein und der Schadensersatzanspruch glaubhaft gemacht werden.
Hinsichtlich der Verjährung gelten für Ansprüche aus DMA-Verstößen die Grundsätze wie für Kartellrechtsverstöße, d.h. es gilt eine kenntnisabhängige Verjährungsfrist von fünf Jahren nach Beendigung des Verstoßes, § 33h GWB.
Hinsichtlich der Schadensbezifferung hat sich der deutsche Gesetzgeber dazu entschlossen, die widerlegbare Schadensvermutung gemäß § 33a Abs. 2 GWB nicht auf DMA-Verstöße zu erstrecken. Da die Rechtspflichten des DMA und daran knüpfende Verstöße ihrem Wesen nach sehr heterogen sind und es an auf Fallpraxis basierender Erfahrungswerte fehlt, erscheint das konsequent. Hinsichtlich der genauen Bezifferung des erlittenen Schadens kann sich der Kläger allerdings auf die gleichen Beweiserleichterungen stützen, die auch im kartellrechtlichen Schadensersatzverfahren gelten. Dies bedeutet, dass der Richter den Schaden auf Grundlage der von den Parteien vorgetragenen Tatsachen schätzen kann, wenn eine genaue Bezifferung nicht möglich oder übermäßig schwierig ist (was regelmäßig der Fall sein wird).
Private Rechtsstreitigkeiten vor den nationalen Gerichten werden sich als wesentlicher Pfeiler der Durchsetzung des DMA erweisen. Angesichts der begrenzten Ressourcen der Kommission und ihres Ermessensspielraums beim Aufgreifen neuer Fälle, dürften sich die Verfahren der Kommission wahrscheinlich auf high-profile Fälle konzentrieren. In den übrigen Fällen ist es Sache der betroffenen Parteien, den Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten zu beschreiten.
Aus Klägersicht dürfte es sich von Vorteil erweisen, dass der DMA eine Verordnung mit verhältnismäßig präzise Rechtspflichten ist. In Zweifelsfällen sieht der DMA einen Mechanismus für die Zusammenarbeit zwischen nationalen Gerichten und der Kommission vor. An Klagen vor den Zivilgerichten führt jedenfalls dann kein Weg vorbei, wenn es um den Ersatz von Schäden infolge von DMA-Verstößen geht. Wie bereits in Kartellschadensersatzverfahren dürften die deutschen Gerichte im Hinblick auf den Effektivitätsgrundsatz zu einer klägerfreundlichen Auslegung der prozessualen Vorschriften tendieren. Der Weg für künftige Kläger ist jedenfalls geebnet. Die Instrumente stehen bereit. Sie warten nur darauf, von findigen Klägern eingesetzt zu werden.
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