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07.11.2023

11. GWB-Novelle: Neue Regeln zur Sektoruntersuchung, Vorteilsabschöpfung und Umsetzung des DMA

Die 11. GWB-Novelle ist am 7. November 2023 in Kraft getreten

Am 29. September 2023 hat der Bundesrat die 11. GWB-Novelle gebilligt. Die teilweise umstrittene Reform tritt heute, am 7. November 2023, in Kraft.1 Die 11. GWB-Novelle sieht ein neues Eingriffsinstrument vor, mit dem das Bundeskartellamt in Anschluss an eine Sektoruntersuchung – auch ohne kartellrechtswidriges Verhalten eines Unternehmens – strukturelle oder verhaltensbezogene Abhilfemaßnahmen vorschreiben kann, wenn es eine Störung des Wettbewerbs festgestellt hat. Darüber hinaus sorgt sie dafür, dass die Abschöpfung wirtschaftlicher Vorteile, die durch Kartellrechtsverstöße erlangt wurden, vereinfacht wird, und schafft die rechtliche Grundlage für die Durchsetzung des Digital Markets Act („DMA“).

Sektoruntersuchung

Kernstück und gleichzeitig der wohl umstrittenste Punkt der Reform ist die Einführung eines neuen Eingriffsinstruments, mit dem das BKartA im Anschluss an eine Sektoruntersuchung festgestellte Störungen des Wettbewerbs abstellen kann. Einer kartellrechtswidrigen Verhaltensweise eines Unternehmens bedarf es dafür nicht.

Hintergrund

Das seit 2005 existierende Instrument der Sektoruntersuchung ermöglicht es dem BKartA sowie den Landeskartellbehörden, Untersuchungen eines bestimmten Wirtschaftszweigs vorzunehmen, wenn Umstände auf dem Markt vermuten lassen, dass der Wettbewerb möglicherweise eingeschränkt oder verfälscht ist.2 Seit Einführung wurden 20 Berichte zu Sektoruntersuchungen veröffentlicht. Die Verfahren gestalteten sich jedoch als langwierig und die Sektoruntersuchungen verloren damit insbesondere in dynamischen Märkten, bei denen es auf die Aktualität der Daten ankommt, an Relevanz. Des Weiteren waren die Befugnisse des BKartA nach Abschluss der Sektoruntersuchung bisher darauf begrenzt, dass es ein Unternehmen zur Anmeldung künftiger Zusammenschlüsse auffordern konnte.3 Darüber hinaus konnte das BKartA bisher nur Abhilfemaßnahmen anordnen, wenn es gleichzeitig eine kartellrechtswidrige Verhaltensweise, etwa eine wettbewerbsbeschränkende Absprache (§ 1 GWB) oder einen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung (§ 19 GWB), feststellen konnte. Diesen Schwächen soll die Novelle nun abhelfen.

Zeitliche Straffung

Zur Beschleunigung der Sektoruntersuchungen soll das BKartA die Sektoruntersuchung spätestens 18 Monate nach Einleitung abschließen.4 Nach der Veröffentlichung des Berichts über die Ergebnisse der Sektoruntersuchung soll das BKartA befugt sein, innerhalb von weiteren 18 Monaten Abhilfemaßnahmen zu ergreifen.5

Ausweitung der Eingriffsmöglichkeiten des BKartA nach einer Sektoruntersuchung

Mit Einführung des § 32f GWB nF sollen dem BKartA zukünftig Mittel an die Hand gegeben werden, im Anschluss an eine Sektoruntersuchung eine Störung des Wettbewerbs auf einem Markt festzustellen und schon auf dieser Grundlage verhaltensbedingte und strukturelle Abhilfemaßnahmen anordnen zu können.

Anknüpfungspunkt für ein Einschreiten des BKartA ist das Vorliegen einer „erheblichen und fortwährenden6 Störung des Wettbewerbs“ – ein Begriff, der dem GWB bisher fremd war. Eine Wettbewerbsstörung soll regelmäßig bei unilateraler Angebots- oder Nachfragemacht, bei Marktzutrittsbeschränkungen, bei gleichförmigem oder koordiniertem Verhalten und bei Abschottung von Einsatzfaktoren oder Kunden durch vertikale Beziehungen bestehen.7 Bei der Prüfung über das Vorliegen einer Wettbewerbsstörung sollen Faktoren betreffend Markstruktur, -verhalten und -ergebnis berücksichtigt werden.8

Darüber hinaus muss das BKartA im Rahmen einer Prognoseentscheidung feststellen, dass die klassischen kartellbehördlichen Maßnahmen, wie bspw. der Erlass einer Abstellungsverfügung wegen missbräuchlichen Verhaltens, voraussichtlich nicht ausreichend erscheinen, um die Störung des Wettbewerbs wirksam und dauerhaft zu beseitigen.9 Damit wird klargestellt, dass das neue Instrumentarium des § 32f GWB nF subsidiär ist.

Aus verfahrensrechtlicher Sicht sieht die Novelle vor, dass das BKartA in einem ersten Schritt das Vorliegen einer solchen Wettbewerbsstörung, die nicht mit den klassischen kartellbehördlichen Maßnahmen zu beseitigen ist, durch Verfügung festzustellen hat. Adressat der Verfügung sind Unternehmen, die neben ihrem Verhalten auch zusätzlich durch ihre Bedeutung für die Marktstruktur zur Wettbewerbsstörung beitragen. In einem zweiten Schritt kann das BKartA verhaltensbezogene und strukturelle Abhilfemaßnahmen anordnen. Exemplarisch listet § 32f Abs. 3 GWB nF folgende Maßnahmen auf:

  • die Gewährung des Zugangs zu Daten, Schnittstellen, Netzen oder sonstigen Einrichtungen;
  • Vorgaben zu den Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen (bspw. durch die Vorgabe von Lieferverpflichtungen);
  • die Verpflichtung zur Etablierung transparenter, diskriminierungsfreier und offener Normen und Standards durch Unternehmen;
  • Vorgaben zu bestimmten Vertragsformen oder Vertragsgestaltungen (bspw. durch die Vorgabe maximaler Laufzeiten) einschließlich vertraglicher Regelungen zur Informationsoffenlegung;
  • das Verbot der einseitigen Offenlegung von Informationen, die ein Parallelverhalten von Unternehmen begünstigen;
  • die buchhalterische oder organisatorische Trennung von Unternehmens- und Geschäftsbereichen.

Sind diese Abhilfemaßnahmen nicht ausreichend, kann das BKartA als ultima ratio Unternehmen vorschreiben, Unternehmensanteile oder Vermögen zu veräußern, wenn dadurch die festgestellte Störung beseitigt oder erheblich verringert wird.10 Eine solche Anordnung kann jedoch nur gegenüber marktbeherrschenden Unternehmen und Unternehmen mit überragend marktübergreifender Bedeutung nach § 19a GWB erfolgen.

Betroffene Unternehmen können die Feststellung der Wettbewerbsstörung sowie die einzelnen Abhilfemaßnahmen gerichtlich überprüfen lassen. Legt ein Unternehmen Rechtsmittel gegen die angeordneten Maßnahmen ein, so hat das Rechtsmittel aufschiebende Wirkung.11 Die Maßnahme darf damit zunächst nicht vollzogen werden.

Unabhängig von der Feststellung einer Wettbewerbsstörung hat das BKartA weiterhin die Möglichkeit – wie bisher in § 39a GWB aF vorgesehen – ein Unternehmen durch Verfügung zur Anmeldung jedes Zusammenschlusses auch unterhalb der Kriterien des § 35 GWB zu verpflichten, wenn durch künftige Zusammenschlüsse der Wettbewerb behindert werden könnte. Voraussetzung ist, dass der Erwerber im Vorjahr einen Inlandsumsatz von EUR 50 Mio. und die Zielgesellschaft einen Inlandsumsatz von EUR 1 Mio. erzielte.13

Erleichterte Vorteilsabschöpfung

Die zweite Säule der Reform betrifft das im GWB vorgesehene Instrument der kartellrechtlichen Vorteilsabschöpfung. Dieses wurde bereits in den 1980er Jahren geschaffen, um weitere Anreize gegen Kartellrechtsverstöße zu setzen. Es ermöglicht dem BKartA im Fall eines Kartellrechtsverstoßes, dem Unternehmen den dadurch erlangten wirtschaftlichen Vorteil zu entziehen. Jedoch fand dieses Instrument bislang beim BKartA keine Anwendung, was auf die erhebliche Schwierigkeit bei der Ermittlung der Höhe des erlangten wirtschaftlichen Vorteils zurückzuführen war.

Um die Vorteilsabschöpfung zu erleichtern, führt § 34 Abs. 4 GWB nF daher die doppelte Vermutung ein, dass (i) im Falle eines schuldhaft begangenen wettbewerbsrechtlichen Verstoßes das zuwiderhandelnde Unternehmen einen wirtschaftlichen Vorteil erlangt hat, und (ii) dieser Vorteil in seiner Höhe mindestens 1 % der Inlandsumsätze beträgt, die das Unternehmen mit dem Produkt oder der Dienstleistung erzielt hat, die wiederum mit dem nachgewiesenem Kartellrechtsverstoß im Zusammenhang stehen.

Die Widerlegung dieser Vermutung ist nur dann möglich, wenn die Erlangung eines Vorteils aufgrund der besonderen Natur des Verstoßes ausgeschlossen ist oder wenn das betroffene Unternehmen nachweist, dass der weltweite Gewinn der gesamten Unternehmensgruppe im relevanten Zeitraum nicht so hoch war. Der abgeschöpfte Betrag soll auf 10 % des weltweiten Konzerngesamtjahresumsatzes im Vorjahr der Behördenentscheidung gedeckelt sein.

Unterstützung bei der Durchsetzung des DMA

Schließlich ebnet die Novelle den Weg für den DMA, der seit dem 2. Mai 2023 Anwendung findet und darauf abzielt, das Verhalten marktbeherrschender Digitalkonzerne zu regulieren.

Untersuchungen durch das BKartA

Die Novelle schafft zunächst die rechtliche Grundlage dafür, dass das BKartA die Europäische Kommission („Kommission“) bei der Durchsetzung des DMA unterstützen kann (sog. Public Enforcement). Das BKartA soll in Zukunft auch selbst Untersuchungen in Bezug auf mögliche Verstöße von sogenannten Gatekeepern gegen Vorschriften des DMAs durchführen können. Im Anschluss daran ist das BKartA gegenüber der Kommission verpflichtet, einen Bericht über die Ergebnisse der Untersuchung zu erstatten. Die Feststellung eines Verstoßes verbleibt jedoch bei der ausschließlichen Zuständigkeit der Kommission. Darüber hinaus werden bereits existierende Regelungen über die behördliche Zusammenarbeit mit der Kommission so ergänzt, dass Verfahren mit DMA-Bezug abgedeckt werden.

Gerichtliche Durchsetzung des DMAs

Zudem sichert die Novelle die gerichtliche Durchsetzung des DMA ab (sog. Private Enforcement). Sie sieht dafür vor, dass sich die im GWB befindenden klägerfreundlichen Vorschriften zur Erleichterung der privaten Rechtsdurchsetzung in Kartellsachen auch auf DMA-bezogene Klagen erstrecken sollen. Dies wird unter anderem dadurch erreicht, dass eine bestandskräftige Entscheidung der Kommission, die den Verstoß von im DMA vorgesehenen Verpflichtungen feststellt, Bindungswirkung im Rahmen von follow-on (Schadensersatz-)Klagen vor den deutschen Gerichten entfaltet. Schließlich werden die Landgerichte für DMA-bezogene Streitigkeiten – wie auch für Kartellschadensersatzklagen – für ausschließlich zuständig erklärt.

Kommentar

Insbesondere das Herzstück der Reform, die Schärfung des Instrumentariums der Sektoruntersuchung, war Gegenstand erhitzter Debatten. Es bleibt abzuwarten, welche Märkte das Bundeskartellamt mit dem neuen Instrument ins Visier nehmen wird und ob den Unternehmen wirklich ein „scharfes Schwert“ – wie das Instrument anfangs noch genannt wurde – droht oder die Nachjustierungen im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens seinen Effekt abgeschwächt haben. Aufgrund der zahlreichen Rechtsfragen, die die neue Regelung aufwirft, der hohen Nachweisanforderungen und der im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens eingeräumten Rechtsschutzmöglichkeiten der betroffenen Unternehmen geht das Bundeskartellamt von langwierigen Verfahren aus.

Mit der 11. GWB-Novelle hat das BMWK nun einen ersten Teil seiner im Februar 2022 vorgelegten wettbewerbspolitischen Agenda13 umgesetzt. Eine 12. GWB-Novelle, mit der u.a. die Themen Nachhaltigkeit und Verbraucherschutz angegangen werden sollen, ist bereits auf den Weg gebracht.

 

Diese Veröffentlichung wurde ausschließlich zu Informationszwecken erstellt. Sie erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und stellt keine Rechtsberatung dar. Jegliche Haftung im Zusammenhang mit der Nutzung der Informationen sowie ihrer Richtigkeit wird ausgeschlossen.

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Quellen

  1. Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen und anderer Gesetze, BGBl. 2023 I Nr. 294 vom 06.11.2023; siehe zur 11. GWB-Novelle auch COMMEO Newsletter aus 07/2023 und 11/2022.
  2. § 32e Abs. 1 GWB nF.
  3. § 39a GWB aF.
  4. § 32e Abs. 3 GWB nF.
  5. § 32f Abs. 7 GWB nF.
  6. Siehe dazu Definition in § 32f Abs. 5 S. 3 GWB nF.
  7. § 32f Abs. 5 S. 1 GWB nF.
  8. § 32f Abs. 5 S. 2 GWB nF.
  9. § 32f Abs. 3 S. 1 GWB nF.
  10. § 32f Abs. 4 GWB nF.
  11. § 66 Abs. 1 Nr. 1 GWB nF.
  12. § 32f Abs. 2 GWB nF.
  13. Wettbewerbspolitische Agenda des BMWK bis 2025 vom 21.2.2022.

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