Der Deutsche Bundestag hat am vergangenen Donnerstag, den 6. Juli 2023, die 11. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen („GWB“) beschlossen.1 Soweit der Bundesrat keine Einwendungen gegen die Vorlage erhebt, steht einem baldigen In-Kraft-Treten im Herbst diesen Jahres nichts entgegen. Nachdem der Referentenentwurf des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz („BMWK“) vom 20. September 2022 noch für Aufschrei und viel Kritik gesorgt hatte,2 erfolgten Nachjustierungen. Die angekündigten Kernelemente wurden jedoch beibehalten: Herzstück der Reform ist die effektivere Gestaltung des Instrumentariums der Sektoruntersuchung, einschließlich der Einräumung weitgehender Befugnisse an das Bundeskartellamt („BKartA“). Das BKartA soll zukünftig auch ohne das Vorliegen eines wettbewerbswidrigen Verhaltens von Unternehmen in Märkte eingreifen können. Daneben soll die Abschöpfung von aus Kartellrechtsverstößen entstandenen Vorteilen durch das BKartA vereinfacht werden. Schließlich schafft die Novelle die rechtliche Grundlage für die Durchsetzung des Digital Market Act („DMA“).
Kernstück und gleichzeitig der wohl umstrittenste Punkt der Reform ist die Einführung eines neuen Eingriffsinstruments, mit dem das BKartA im Anschluss an eine Sektoruntersuchung festgestellte Störungen des Wettbewerbs abstellen kann. Einer kartellrechtswidrigen Verhaltensweise eines Unternehmens bedarf es dafür nicht.
Das seit 2005 existierende Instrument der Sektoruntersuchung ermöglicht es dem BKartA sowie den Landeskartellbehörden, Untersuchungen eines bestimmten Wirtschaftszweigs vorzunehmen, wenn starre Preise oder andere Umstände vermuten lassen, dass der Wettbewerb eingeschränkt oder verfälscht ist.3 Seit Einführung wurden 20 Berichte zu Sektoruntersuchungen veröffentlicht. Die Verfahren gestalteten sich jedoch als langwierig und die Sektoruntersuchungen verloren damit insbesondere in dynamischen Märkten, bei denen es auf die Aktualität der Daten ankommt, an Relevanz. Des Weiteren waren die Befugnisse des BKartA nach Abschluss der Sektoruntersuchung bisher darauf begrenzt, dass es ein Unternehmen zur Anmeldung künftiger Zusammenschlüsse auffordern konnte.4 Darüber hinaus konnte das BKartA bisher nur Abhilfemaßnahmen anordnen, wenn es gleichzeitig eine kartellrechtswidrige Verhaltensweise, etwa eine wettbewerbsbeschränkende Absprache (§ 1 GWB) oder einen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung (§ 19 GWB), feststellen konnte. Diesen Schwächen soll die Novelle nun abhelfen.
Zur Beschleunigung der Sektoruntersuchungen sieht die Gesetzesvorlage nunmehr vor, dass das BKartA die Sektoruntersuchung spätestens 18 Monate nach Einleitung abschließen soll.5 Weitere 18 Monate soll das BKartA zum Ergreifen von Abhilfemaßnahmen haben.6
Mit Einführung des § 32f GWB-E sollen dem BKartA zukünftig Mittel an die Hand gegeben werden, im Anschluss an eine Sektoruntersuchung eine Störung des Wettbewerbs auf einem Markt festzustellen und schon auf dieser Grundlage verhaltensbedingte und strukturelle Abhilfemaßnahmen anordnen zu können.
Anknüpfungspunkt für ein Einschreiten des BKartA ist das Vorliegen einer „erheblichen und fortwährenden7 Störung des Wettbewerbs“ – ein Begriff, der dem GWB bisher fremd war. Im Vergleich zum Referentenentwurf wurde der Begriff der Wettbewerbsstörung durch eine Liste von Prüfkriterien sowie die Nennung von Regelbeispielen konkretisiert. Eine Wettbewerbsstörung soll regelmäßig bei unilateraler Angebots- oder Nachfragemacht, bei Marktzutrittsbeschränkungen, bei gleichförmigem oder koordiniertem Verhalten und bei Abschottung von Einsatzfaktoren oder Kunden durch vertikale Beziehungen bestehen.8 Bei der Prüfung über das Vorliegen einer Wettbewerbsstörung sollen Faktoren betreffend Markstruktur, -verhalten und -ergebnis berücksichtigt werden.9
Darüber hinaus muss das BKartA im Rahmen einer Prognoseentscheidung feststellen, dass die klassischen kartellbehördlichen Maßnahmen, wie bspw. der Erlass einer Abstellungsverfügung wegen missbräuchlichem Verhalten, voraussichtlich nicht ausreichend erscheinen, um die Störung des Wettbewerbs wirksam und dauerhaft zu beseitigen.10 Damit wird klargestellt, dass das neue Instrumentarium des § 32f GWB-E subsidiär ist.
Aus verfahrensrechtlicher Sicht sieht die Novelle vor, dass das BKartA in einem ersten Schritt das Vorliegen einer solchen Wettbewerbsstörung, die nicht mit den klassischen kartellbehördlichen Maßnahmen zu beseitigen ist, durch Verfügung festzustellen hat. Adressat der Verfügung sind Unternehmen, die neben ihrem Verhalten auch zusätzlich durch ihre Bedeutung für die Marktstruktur zur Wettbewerbsstörung beitragen.
In einem zweiten Schritt kann das BKartA verhaltensbezogene und strukturelle Abhilfemaßnahmen anordnen. Exemplarisch listet § 32f Abs. 3 GWB-E folgende Maßnahmen auf:
Sind diese Abhilfemaßnahmen nicht ausreichend, kann das BKartA als ultima ratio Unternehmen vorschreiben, Unternehmensanteile oder Vermögen zu veräußern, wenn dadurch die festgestellte Störung beseitigt oder erheblich verringert wird.11 Eine solche Anordnung kann – anders als noch im Referentenentwurf vorgesehen – jedoch nur gegenüber marktbeherrschenden Unternehmen und Unternehmen mit überragend marktübergreifender Bedeutung nach § 19a GWB erfolgen.
Betroffene Unternehmen können die Feststellung der Wettbewerbsstörung sowie die einzelnen Abhilfemaßnahmen gerichtlich überprüfen lassen. Legt ein Unternehmen Rechtsmittel gegen die angeordneten Maßnahmen ein, so hat das Rechtsmittel aufschiebende Wirkung.12 Die Maßnahme muss damit zunächst nicht vollzogen werden.
Unabhängig von der Feststellung einer Wettbewerbsstörung hat das BKartA weiterhin die Möglichkeit – wie bisher in § 39a GWB vorgesehen – ein Unternehmen durch Verfügung zur Anmeldung jedes Zusammenschlusses auch unterhalb der Kriterien des § 35 GWB zu verpflichten, wenn durch künftige Zusammenschlüsse der Wettbewerb behindert werden könnte. Voraussetzung ist, dass der Erwerber im Vorjahr einen Inlandsumsatz von EUR 50 Mio. und die Zielgesellschaft einen Inlandsumsatz von EUR 1 Mio. erzielte.13
Die zweite Säule der Reform betrifft das im GWB vorgesehene Instrument der kartellrechtlichen Vorteilsabschöpfung. Dieses wurde bereits in den 1980er Jahren geschaffen, um weitere Anreize gegen Kartellrechtsverstöße zu setzen. Es ermöglicht dem BKartA im Fall eines Kartellrechtsverstoßes, dem Unternehmen den dadurch erlangten wirtschaftlichen Vorteil zu entziehen. Jedoch fand dieses Instrument bislang beim BKartA keine Anwendung, was auf die erhebliche Schwierigkeit bei der Ermittlung der Höhe des erlangten wirtschaftlichen Vorteils zurückzuführen war.
Um die Vorteilsabschöpfung zu erleichtern, führt § 34 Abs. 4 GWB-E daher die doppelte Vermutung ein, dass (i) im Falle eines schuldhaft begangenen wettbewerbsrechtlichen Verstoßes das zuwiderhandelnde Unternehmen einen wirtschaftlichen Vorteil erlangt hat, und (ii) dieser Vorteil in seiner Höhe mindestens 1% der Inlandsumsätze beträgt, die das Unternehmen mit dem Produkt oder der Dienstleistung erzielt hat, die mit dem nachgewiesenem Kartellrechtsverstoß im Zusammenhang stehen. Anders als im Referentenentwurf vorgesehen setzt die Abschöpfung weiterhin das Vorliegen eines schuldhaften Verstoßes voraus.
Die Widerlegung dieser Vermutung ist nur schwer möglich, nämlich dann, wenn die Erlangung eines Vorteils aufgrund der besonderen Natur des Verstoßes ausgeschlossen ist oder wenn das betroffene Unternehmen nachweist, dass der weltweite Gewinn der gesamten Unternehmensgruppe im relevanten Zeitraum nicht so hoch war. Der abgeschöpfte Betrag soll auf 10% des weltweiten Konzerngesamtjahresumsatzes im Vorjahr der Behördenentscheidung gedeckelt sein.
Schließlich ebnet die Novelle den Weg für den DMA, der seit dem 2. Mai 2023 Anwendung findet und darauf abzielt, die Macht marktbeherrschender Digitalkonzerne zu beschränken.
Die Novelle schafft zunächst die rechtliche Grundlage dafür, dass das BKartA die Europäische Kommission („Kommission“) bei der Durchsetzung des DMA unterstützen kann (sog. Public Enforcement). Das BKartA soll in Zukunft auch selbst Untersuchungen in Bezug auf mögliche Verstöße von sogenannten Gatekeepern gegen Vorschriften des DMAs durchführen können. Im Anschluss daran ist das BKartA gegenüber der Kommission verpflichtet, einen Bericht über die Ergebnisse der Untersuchung zu erstatten. Die Feststellung eines Verstoßes verbleibt jedoch bei der ausschließlichen Zuständigkeit der Kommission. Darüber hinaus werden bereits existierende Regelungen über die behördliche Zusammenarbeit mit der Kommission so ergänzt, dass Verfahren mit DMA-Bezug abgedeckt werden.
Zudem sichert die Novelle die gerichtliche Durchsetzung des DMA ab (sog. Private Enforcement). Sie sieht dafür vor, dass sich die im GWB befindenden klägerfreundlichen Vorschriften zur Erleichterung der privaten Rechtsdurchsetzung in Kartellsachen auch auf DMA-bezogene Klagen erstrecken sollen. Dies wird unter anderem dadurch erreicht, dass eine bestandskräftige Entscheidung der Kommission, die den Verstoß von im DMA vorgesehenen Verpflichtungen feststellt, Bindungswirkung im Rahmen von follow-on (Schadensersatz-)Klagen vor den deutschen Gerichten entfaltet. Schließlich werden die Landgerichte für DMA-bezogene Streitigkeiten – wie auch für Kartellschadensersatzklagen – für ausschließlich zuständig erklärt.
Insbesondere das Herzstück der Reform, die Schärfung des Instrumentariums der Sektoruntersuchung, spaltet die Meinungen. Ob es sich bei der Reform um einen Paradigmenwechsel handelt oder nicht – Einigkeit besteht jedenfalls insoweit, als die Novelle dem BKartA weitreichende Befugnisse gibt, in „verkrustete Märkte“ einzugreifen und gegenüber Unternehmen Abhilfemaßnahmen anzuordnen, ohne dass diese sich eines kartellrechtswidrigen Verhaltens zu Schulden haben kommen lassen.
Auch wenn im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens einige Nachjustierungen vorgenommen wurden, ist es für Unternehmen auch weiterhin nur schwer erkennbar, wann von einer Wettbewerbsstörung auf einem Markt auszugehen ist. Der Gesetzestext wirft zahlreiche Rechtsfragen auf. Zu begrüßen ist hingegen, dass betroffene Unternehmen – im Vergleich zum Referentenentwurf – bessere Rechtsschutzmöglichkeiten erhalten.
Der Gesetzesbeschluss wird nunmehr dem Bundesrat zugeleitet, der sich voraussichtlich Ende September 2023 damit befassen wird.
Mit der 11. GWB-Novelle hat das BMWK nun einen ersten Teil seiner im Februar 2022 vorgelegten wettbewerbspolitischen Agenda14 umgesetzt. Eine 12. GWB-Novelle, mit der die Themen Nachhaltigkeit und Verbraucherschutz angegangen werden sollen, sollen in dieser Legislaturperiode ebenfalls auf den Weg gebracht werden.
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