Am 20. September 2022 hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz („BMWK“) einen Referentenentwurf zur 11. Novellierung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen („GWB“) vorgelegt.1 Der Zeitplan der Bundesregierung ist ambitioniert, sodass mit einer baldigen Verabschiedung der Novelle zu rechnen ist. Die Novelle dient der Verschärfung des Wettbewerbsrechts und ist eine klare politische Reaktion auf die aktuelle Wirtschaftslage. Erst im Juni 2022 hatte Bundeswirtschaftsminister Habeck angesichts der anhaltend hohen Benzinpreise trotz Tankrabatts eine Verschärfung des Kartellrechts angekündigt. Kernelement der Reform ist die effektivere Gestaltung des Instrumentariums der Sektoruntersuchung, einschließlich der Einräumung weitgehender Befugnisse an das Bundeskartellamt („BKartA“), bis hin zur Entflechtung von Unternehmen im Anschluss an eine Sektoruntersuchung. Daneben sollen die Vorteilsabschöpfung vereinfacht und erste Vorbereitungen für die Durchsetzung des Digital Market Act („DMA“) geschaffen werden.
Das Instrument der Sektoruntersuchung kennt das deutsche Kartellrecht seit 2005. Es ermöglicht dem BKartA sowie den Landeskartellbehörden Untersuchungen eines bestimmten Wirtschaftszweigs vorzunehmen, wenn starre Preise oder andere Umstände vermuten lassen, dass der Wettbewerb eingeschränkt oder verfälscht ist.2 Seit Einführung wurden 20 Berichte zu Sektoruntersuchungen veröffentlicht. Die Verfahren gestalten sich jedoch als langwierig und die Sektoruntersuchung verliert damit insbesondere in dynamischen Märkten, bei denen es auf die Aktualität der Daten ankommt, an Relevanz. Des Weiteren sind die Befugnisse des BKartA nach Abschluss der Sektoruntersuchung bisher darauf begrenzt, dass es ein Unternehmen zur Anmeldung künftiger Zusammenschlüsse auffordern kann. Darüber hinaus kann das BKartA jedoch nur Abhilfemaßnahmen anordnen, wenn es gleichzeitig eine kartellrechtswidrige Verhaltensweise, etwa eine wettbewerbsbeschränkende Absprache (§ 1 GWB) oder einen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung (§ 19 GWB), feststellen konnte. Diesen Schwächen möchte die Novelle nun abhelfen.
Zur Beschleunigung der Sektoruntersuchungen sieht der Entwurf nunmehr vor, dass das BKartA die Sektoruntersuchungen spätestens 18 Monate nach Einleitung abschließen soll.3 Dies soll auch eine zeitnahe Reaktion auf Störungen des Wettbewerbs ermöglichen.
Mit Einführung des § 32f GWB-E sollen dem BKartA zukünftig Mittel an die Hand gegeben werden, die ihm ermöglichen sollen, im Anschluss an eine Sektoruntersuchung konkrete Abhilfemaßnahmen zu treffen, um eine aufgedeckte „erhebliche Wettbewerbsstörung“ zu beseitigen.
Anknüpfungspunkt für ein Einschreiten des BKartA ist das Vorliegen einer erheblichen Störung des Wettbewerbs, die das BKartA anhand von Markstruktur, – verhalten und -ergebnis bezogenen Faktoren festzustellen hat.4 Eine kartellrechtswidrige Verhaltensweise ist nicht Voraussetzung für ein Handeln der Behörde. Auch internes Unternehmenswachstum und Marktaustritte können zu Wettbewerbsstörungen auf einem Markt führen.
Stellt das BKartA im Zuge einer Sektoruntersuchung eine solche schwerwiegende Wettbewerbsstörung fest, soll das BKartA die folgenden verhaltensbezogenen und strukturellen Abhilfemaßnahmen anordnen können:
Zunächst soll das BKartA die fusionskontrollrechtliche Anmeldung von Zusammenschlüssen auch unterhalb der Schwellenwerte des § 35 GWB vorgeben können, wenn eine erhebliche Wettbewerbsbehinderung zu erwarten ist.5 Dafür soll aber nicht mehr darauf abgestellt werden, dass den Unternehmen „wirtschaftlich hohe Bedeutung“ zukommt, sondern allein darauf, dass der Erwerber im Vorjahr einen Inlandsumsatz von EUR 50 Mio. und die Zielgesellschaft einen Umsatz von EUR 500.000 erzielte.
Liegt eine erhebliche, andauernde oder wiederholte Störung des Wettbewerbs auf einem Markt oder marktübergreifend vor, kann das BKartA zudem die zur Beseitigung oder Verringerung der Störung erforderlichen Abhilfemaßnahmen verhaltensbezogener und struktureller Art anordnen.6 Mögliche Maßnahmen können insbesondere Folgendes zum Gegenstand haben:
Sind diese Abhilfemaßnahmen nicht ausreichend, sieht der Entwurf vor, dass das BKartA Unternehmen vorschreiben kann, Unternehmensanteile oder Vermögen zu veräußern.7 Eine solche eigentumsrechtliche Entflechtung soll nur als ultima ratio zulässig sein.
Mit der Novelle soll zudem das verwaltungsrechtliche Instrument der Vorteilsabschöpfung, das dem BKartA ermöglicht, einem Kartellanten den durch den Kartellrechtsverstoß erlangten wirtschaftlichen Vorteil zu entziehen, einfacher gestaltet werden.
Keine Rolle soll in Zukunft spielen, ob ein Unternehmen den Kartellverstoß schuldhaft begangen hat. Des Weiteren sollen die Nachweisanforderungen im Hinblick auf die Ermittlung des von dem Kartellanten erlangten Vorteils, an dem die Vorteilsabschöpfung in der Vergangenheit oftmals scheiterte, abgesenkt werden. Zukünftig soll die Vermutung gelten, dass ein Unternehmen einen Vorteil in Höhe von mindestens 1% seiner Inlandsumsätze mit dem Produkt oder der Dienstleistung erzielt hat, die mit dem nachgewiesenem Kartellrechtsverstoß im Zusammenhang stehen. Dabei ist auf den Umsatz, der im gesamten Zeitraum des Verstoßes erzielt wurde, abzustellen. Die Vermutung hinsichtlich der Mindesthöhe des erlangten wirtschaftlichen Vorteils kann nur widerlegt werden, wenn das Unternehmen nachweist, tatsächlich keinen Gewinn erzielt zu haben. Der abgeschöpfte Betrag soll auf 10% des weltweiten Konzerngesamtjahresumsatzes im Vorjahr der Behördenentscheidung gedeckelt sein.
Schließlich ebnet der Referentenentwurf den Weg für den am 1. November 2022 in Kraft getretenen DMA, der ab dem 2. Mai 2023 Anwendung findet. Ziel des DMA ist, die Macht marktbeherrschender Digitalkonzerne zu beschränken.
Die Novelle schafft zunächst die rechtliche Grundlage dafür, dass das BKartA die Europäische Kommission („Kommission“) bei der Durchsetzung des DMA unterstützt (sog. Public Enforcement). Das BKartA soll in Zukunft auch selbst Ermittlungen in Bezug auf mögliche Verstöße marktbeherrschender Digitalkonzerne gegen Vorschriften des DMAs durchführen können. Im Anschluss an die Durchführung von solchen Untersuchungen ist das BKartA gegenüber der Kommission verpflichtet, einen Bericht über die Ergebnisse der Untersuchung zu erstatten, der auch veröffentlicht werden kann. Bereits existierende Regelungen über die behördliche Zusammenarbeit mit der Kommission und die Zusammenarbeit im Rahmen von ihr geführter Verfahren werden so ergänzt, dass Verfahren mit DMA-Bezug abgedeckt werden.
Zudem soll die gerichtliche Durchsetzung des DMA über die Novelle abgesichert werden (sog. Private Enforcement). Die Novelle sieht dafür vor, dass sich die im GWB befindenden klägerfreundlichen Vorschriften zur Erleichterung der privaten Rechtsdurchsetzung in Kartellsachen auch auf DMA-bezogene Klagen erstrecken sollen. Zudem soll über die Novelle sichergestellt werden, dass eine bestandskräftige Entscheidung der Kommission, die den Verstoß von im DMA vorgesehenen Verpflichtungen feststellt, Bindungswirkung im Rahmen von Follow-on-Schadensersatzverfahren vor den deutschen Gerichten haben. Schließlich werden die Landgerichte für DMA-bezogene Streitigkeiten – wie auch für Kartellschadensersatzklagen – für ausschließlich zuständig erklärt.
Mit der geplanten 11. GWB-Novelle beabsichtigt das BMWK einen ersten Teil seiner im Februar 2022 vorgelegten wettbewerbspolitischen Agenda8 vorzeitig umzusetzen. Die Novelle ist als klares Signal an den Markt zu sehen, dass das BKartA zukünftig stärker durchgreifen soll. Weitere Aspekte der 10 Punkte-Agenda der Bundesregierung, insbesondere betreffend die Themen Nachhaltigkeit und Verbraucherschutz, sollen im Rahmen einer 12. GWB-Novelle in dieser Legislaturperiode ebenfalls auf den Weg gebracht werden.
Es bleibt abzuwarten, in welcher Form der Referentenentwurf das Licht der Welt erblicken wird. Insbesondere die Einführung des § 32f GWB-E würde einen Paradigmenwechsel im deutschen Kartellrecht darstellen. Denn das BKartA würde weitreichende Eingriffsmöglichkeit auch gegenüber solchen Unternehmen erhalten, die sich kartellrechtskonform verhalten haben. Auch die konkrete Ausgestaltung des Referentenentwurfs hierzu, u.a. die Kriterien zur Feststellung einer „Wettbewerbsstörung“ ist in vielerlei Punkten fragwürdig. Nicht überraschend ist daher der rege Widerstand und die Kritik, die der Referentenentwurf auslöst.
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* Bundeswirtschaftminister Dr. Robert Habeck, Interview im Deutschlandfunk v. 13.06.2022; zuletzt abgerufen am 22.11.2022.