Das im Sommer 2021 verabschiedete Lieferkettengesetz1 („LkSG“) verpflichtet seit dem 1. Januar 2023 bestimmte Unternehmen zur Einhaltung von Sorgfaltspflichten in Bezug auf ihre weltweiten Lieferketten. Bei der Erfüllung dieser Pflichten im Rahmen der Auswahl und Überwachung ihrer Zulieferer sind die Unternehmen weiterhin an kartellrechtliche Verhaltensregeln gebunden.
Ziel des LkSG ist die Sicherstellung der Beachtung menschenrechtlicher und umweltbezogener Standards entlang der globalen Lieferkette. Unternehmen müssen nach dem Gesetz bestimmte Sorgfaltspflichten in Bezug auf den eigenen Geschäftsbereich sowie auf unmittelbare und ausnahmsweise auch mittelbare Zulieferer erfüllen. Hierzu zählen z.B. die Einrichtung eines Risikomanagementsystems, die Durchführung regelmäßiger Risikoanalysen, Präventions- und bei Bedarf Abhilfemaßnahmen. Viele dieser Maßnahmen bewegen sich im Spannungsverhältnis zu kartellrechtlichen Vorgaben.
Der Sorgfaltspflichtenkatalog des LkSG gilt ab dem 1. Januar 2023 für Unternehmen, die
– ihre Hauptverwaltung, Hauptniederlassung, ihren Verwaltungssitz oder satzungsgemäßen Sitz oder eine Zweigniederlassung in Deutschland haben und
– in der Regel mind. 3.000 ArbeitnehmerInnen in Deutschland beschäftigen (ab dem 1. Januar 2024: 1.000 ArbeitnehmerInnen).
Nach § 6 Abs. 4 Nr. 1 LkSG muss das Unternehmen als zwingende Präventionsmaßnahme bei der Auswahl seiner unmittelbaren Zulieferer menschenrechts- und umweltbezogene Erwartungen berücksichtigen. Hierfür wird das Unternehmen regelmäßig, z.B. im Rahmen eines jährlichen Lieferantenaudits, wettbewerblich erhebliche Daten von Zulieferern abfragen. Dies betrifft auch kartellrechtlich sensible Informationen über Kostenstrukturen und Produktionsentwicklung, wie z.B. Beschäftigungskosten des Zulieferers, anhand derer überprüft werden kann, ob arbeitsschutzrechtliche Vorschriften eingehalten und angemessene Löhne gezahlt werden.
Nach den allgemeinen kartellrechtlichen Vorgaben zum vertikalen Informationsaustauschs ist zwischen „Need to know“ und „Nice to have“ Informationen zu unterscheiden: Informationen, die für die Vertragsdurchführung oder die Erfüllung gesetzlicher Pflichten, wie das LkSG, nötig sind, zählen zu ersterer Kategorie und sind, sofern die Unternehmen keine Wettbewerber sind, grundsätzlich unproblematisch. Problematisch wird es, wenn im Rahmen der notwendigen Informationsabfrage vom Zulieferer unaufgefordert weitere, unzusammenhängende Informationen zur Verfügung gestellt oder Informationsquellen institutionalisiert eingesetzt werden.
Die Erfüllung der durch das LkSG vorgeschriebenen Sorgfaltspflichten kann zu einer Intensivierung der Geschäftsbeziehung zwischen Unternehmen und Zulieferer führen. Das Unternehmen hat regelmäßig ein Interesse daran, zuverlässige Zulieferer langfristig an sich zu binden. Hierdurch bedingte Ausschließlichkeitsbindungen des Abnehmers sind kartellrechtlich nur erlaubt, wenn die Marktanteile der Parteien gering sind, die Alleinbezugsverpflichtung nicht mehr als 80% des Gesamtbedarfs des Abnehmers umfasst und innerhalb von fünf Jahren kündbar ist.
Die Einhaltung menschenrechts- und umweltbezogener Standards wird von Verbrauchern regelmäßig als Qualitätsmerkmal wahrgenommen. Der Zulieferer könnte daher versuchen, von seinen Abnehmern einen bestimmten Verkaufspreis für ein den Vorgaben des LkSG entsprechendes Produkt zu verlangen, der die gestiegene Produktqualität oder durch Einhaltung der Vorgaben verursachte höhere Kosten abbildet. Kartellrechtlich unzulässig sind hier Preisbindungen des Abnehmers, die über bloße unverbindliche Preisempfehlungen oder Höchstpreise hinausgehen sowie Vereinbarungen, ob und wie gegebenenfalls eintretende Veränderungen der Kosten entlang der Lieferkette weitergegeben werden.2
Um die Einflussmöglichkeiten auf Zulieferer, die die vom LkSG geforderten Standards nicht erfüllen, zu erhöhen, spricht das Gesetz die Zusammenarbeit von Unternehmen im Rahmen von Brancheninitiativen und Branchenstandards explizit als Maßnahme an (§ 7 Abs. 2 Nr. 2 LkSG). Die Zusammenarbeit sollte aus kartellrechtlicher Sicht an den Maßgaben zu gemeinsamen Normierungen und Standardbedingungen orientiert sein. Es darf beispielweise kein Zwang zur Teilnahme an dem Standard bestehen, das Verfahren muss transparent ausgestaltet und der Standard zu diskriminierungsfreien Bedingungen zugänglich sein. Der Informationsaustausch ist auf das notwenige Maß zu beschränken und es darf keine Abstimmung zu Preisen und Absatzmengen stattfinden.
Eine weitere Form der Kooperation sind Einkaufsgemeinschaften, im Rahmen derer die Unternehmen gemeinsame Kriterien für Zuliefererauswahl und -überwachung sowie Sanktionsmechanismen festlegen können. Als Faustregel gilt, dass bei gemeinsamen Marktanteilen der Mitglieder von unter 15% auf den relevanten Ein- und Verkaufsmärkten eine Einkaufsgemeinschaft kartellrechtlich unproblematisch ist. Die Mitglieder dürfen keine Vereinbarungen zu ihren Absatzpreisen und -mengen treffen, keine strategischen Informationen austauschen und keine Kunden oder Märkte aufteilen.3
Kartellrechtliche Grenzen gelten auch für den Informationsaustausch zwischen Wettbewerben in Bezug auf die Zuliefererauswahl. Insbesondere wettbewerblich sensible Informationen über Kostenstrukturen, die Zulieferer den Unternehmen nach § 6 Abs. 4 Nr. 1 LkSG mitgeteilt haben, dürfen nicht mit Wettbewerben ausgetauscht werden. Nach dem Entwurf der neuen Horizontalleitlinien der EU Kommission4 soll dagegen eine Informationsdatenbank über Lieferanten und Händler, die eine nachhaltige Lieferkette aufweisen, grundsätzlich keinen wettbewerblichen Bedenken begegnen, solange keine Verpflichtung besteht, mit den geführten Zulieferern in eine Geschäftsbeziehung zu treten.
Die nach dem LkSG notwendigen Maßnahmen stellen regelmäßig kartellrechtlich relevante Verhaltensweisen dar. Kooperationen zwischen Unternehmen bei der Erfüllung der Sorgfaltspflichten sind explizit vom Gesetzgeber angesprochen und werden in der Praxis künftig häufiger relevant sein. Die Unternehmen sind weiterhin an kartellrechtlichen Vorgaben zu Informationsaustausch, Branchenstandards und Kooperationen gebunden. Gerade bei der Zusammenarbeit in Brancheninitiativen empfiehlt sich eine eingehende Prüfung und ggfls. eine Klärung mit dem Bundeskartellamt.
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