Seit dem „Hattrick” des EuGH in Sachen European Super League, International Skating Union (ISU) und Royal Antwerp Football Club (RAFC) im Dezember 2023 steht der Ball im Sportkartellrecht nicht mehr still. Mit diesem Newsletter geben wir einen Überblick über die die jüngste Entscheidungspraxis im Sportkartellrecht und untersuchen, welche Rückschlüsse über den Bereich des Sports hinaus zu ziehen sind – und wie viele Wortspiele ein Newsletter verträgt.
Nach der ständigen Rechtsprechung der europäischen Gerichte gilt das Kartellrecht auch im Sportbereich.1 Zentrales Element der Prüfung von Vereinbarungen und Beschlüssen von Unternehmensvereinigungen (wie z.B. der FIFA oder dem DFB) ist der sog. Meca-Medina Test, nach dem in drei Stufen geprüft wird, ob für bestimmte Verhaltensweisen eine Ausnahme vom Kartellverbot gilt:
Der Test wird nicht nur auf Vereinbarungen, Beschlüsse oder Regelwerke von Sportverbänden angewendet, sondern auch auf Berufsverbände wie beispielsweise Notar- oder Rechtsanwaltskammern.2 Der Meca-Medina Test sei zwar laut Generalanwalt Emiliou in der Rechtssache Rogon3 keine „Du kommst aus dem Gefängnis frei“-Karte. Er gebe allerdings bestimmten Selbstverwaltungseinrichtungen, die legitime Gemeinwohlziele verfolgen, einen größeren Handlungsspielraum als Unternehmensvereinigungen, die rein wirtschaftliche Ziele verfolgen.
In den Rechtssachen European Super League4 und ISU5 entschied der EuGH, dass marktbeherrschende Verbände grundsätzlich Regeln zur Vorabgenehmigung von konkurrierenden Sportwettbewerben (wie eine in Konkurrenz zur Champions League stehende Super League) erlassen dürften. Dies erfordere jedoch (i) klar definierte materielle Voraussetzungen und (ii) detaillierte prozedurale Regeln, die sicherstellen, dass das Genehmigungserfordernis transparent, objektiv, nicht-diskriminierend und verhältnismäßig gehandhabt wird.
Die derzeit vor dem EuGH anhängigen Verfahren Rogon6 und RRC Sports7 befassen sich mit dem Regelwerk von FIFA und DFB zum Rahmen für Vergütung, Tätigkeiten und Verhalten von Spielervermittlern. Rechtlich geht es um die Frage, ob der Meca-Medina Test auch auf Regelungen anwendbar sein kann, die potentiell eine beschränkende Wirkung auf einem anderen Markt haben als dem Markt, auf dem die Mitglieder des Verbandes tätig sind (hier: Organisation von Fußballwettbewerben). Nach Ansicht von Generalanwalt Emiliou könne der Meca-Medina Test Anwendung finden, sofern die Leistungen auf einem vor- oder nachgelagerten Markt (hier: Spielervermittlung) einen unmittelbaren und erheblichen Einfluss auf die Kerntätigkeiten des Verbandes hätten.
Die jüngste Entscheidungspraxis des EuGH im Sportbereich – und nicht nur hier8 – rückt den Unterschied zwischen bezweckten und bewirkten Wettbewerbsbeschränkungen in den Mittelpunkt. Im „Entscheidungshattrick“ Ende 2023 konsolidierte der EuGH die diesbezügliche bisherige Rechtsprechung und bot wegweisende Hilfestellungen zu den Prüfkriterien, ob eine Verhaltensweise als „bezweckt“ einzustufen ist. Entscheidend sind demnach (i) der Inhalt der Vereinbarung, (ii) der wirtschaftliche und rechtlichen Zusammenhang und (iii) die Ziele, die mit ihr erreicht werden sollen.9 Der Meca-Medina Test sei laut EuGH nur auf bewirkte Wettbewerbsbeschränkungen anwendbar.10
Die Rechtssachen RAFC11 (zu sog. Homegrown Players Rules), Diarra12 (zu FIFA-Transferregeln) und Tondela13 (zu sog. no poach-Vereinbarungen) behandeln wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen mit Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt.14 In seinem Diarra-Urteil bewertete der EuGH – in einer Linie mit der EU-Kommission in ihrem competition policy brief aus Mai 202415 – erstmalig Abwerbeverbote (hier: Beschränkungen bei Einstellungen von unter Vertrag stehenden Spielern) als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen und untersucht diese auf ihre Auswirkungen auf den Nachfragewettbewerb zwischen Vereinen als Arbeitgebern. Auch Generalanwalt Emiliou ordnete in Tondela16 no poach-Vereinbarungen grundsätzlich als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen ein. Eine Vereinbarung zwischen den portugiesischen Ligen und dem nationalen Fußballverband, keine Spieler einzustellen, die während der Covid-19 Pandemie ihren Vertrag einseitig gekündigt haben, sei jedoch aufgrund der besonderen Umstände, unter denen die Vereinbarung getroffen wurde (die Pandemie), keine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung.17
In der Rechtssache Royal Football Club Seraing geht es um die Überprüfbarkeit von Schiedssprüchen des Court of Arbitration for Sport („CAS“). Nach Ansicht der Generalanwältin Ćapeta18 müssen bindende Schiedssprüche des CAS von einem zuständigen Unionsgericht überprüft werden können, um ihre Konsistenz mit EU-Recht zu gewährleisten, da andernfalls das Prinzip effektiven Rechtsschutzes verletzt sei. Ein Schiedsspruch des CAS (rechtskräftig bestätigt durch das zuständige Schweizer Berufungsgericht) in derselben Sache könne daher keine entgegenstehende Rechtskraft entfalten. Die Generalanwältin liegt damit auf einer Linie mit dem BGH zur Notwendigkeit der kartellrechtlichen Prüfung von Schiedssprüchen.19
Die „Sportverfahren“ des EuGH enthalten für die Unterscheidung zwischen bewirkten und bezweckten Wettbewerbsbeschränkungen, die Einordnung von no poach-Vereinbarungen in die letztere Kategorie und die kartellrechtliche Überprüfbarkeit von Schiedssprüchen wichtige Aussagen, die auch abseits des Sports von Bedeutung sind. Der EuGH dürfte mit einiger Wahrscheinlichkeit den Schlussanträgen der Generalanwälte in den noch offenen Verfahren Rogon, Tondela und RAFC folgen. Die rechtlichen Seitenlinien bei Einordnung einer möglichen Wettbewerbsbeschränkung in den wirtschaftlichen Zusammenhang und bei Verfolgung nicht primär wirtschaftlicher Ziele (ESG, Standardisierung, Gesundheit, etc.) werden in jedem Fall weiter auskonturiert.
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