Die EU-Kommission hat ihre überarbeiteten horizontalen Gruppenfreistellungsverordnungen (GVOen) für Vereinbarungen über Forschung und Entwicklung (FuE) und Spezialisierungsvereinbarungen verabschiedet. Begleitet werden die GVOen zur Bewertung von Kooperationsvereinbarungen von aktualisierten Horizontal-Leitlinien (Horizontal-LL). Diese enthalten erstmalig auch ein Kapitel über Nachhaltigkeitsvereinbarungen.
Das Kartellverbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV verbietet wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen. Dies bedeutet nicht, dass Unternehmen keine horizontalen Kooperationsvereinbarungen eingehen dürfen. Ganz im Gegenteil, solche Vereinbarungen haben oft wettbewerbsfördernde Auswirkungen und können zur Verbesserung von Produktion und Vertrieb von Waren oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen.
Um Unternehmen die rechtliche Prüfung zu erleichtern, ob bestimmte Kooperationsvereinbarungen mit dem Kartellrecht vereinbar sind, hat die EU-Kommission horizontale GVOen erlassen, mit denen FuE-Vereinbarungen1 und Spezialisierungsvereinbarungen2, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen, automatisch vom Kartellverbot freigestellt werden. Die begleitenden Horizontal-LL3 enthalten weitere Hinweise zur (i) Anwendung der GVOen, (ii) Bewertung von FuE- und Spezialisierungsvereinbarungen, die nicht in den „sicheren Hafen“ der GVOen fallen, und (iii) Bewertung anderer gängiger Formen der horizontalen Zusammenarbeit, wie z.B. Einkaufsgemeinschaften. Mit der Überarbeitung der am 30. Juni 2023 auslaufenden jetzigen GVOen ist beabsichtigt, die GVOen und die Horizontal-LL an die wirtschaftlichen, ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten zehn Jahre, wie die Digitalisierung oder die Verfolgung von Nachhaltigkeitszielen, sowie aktuelle Rechtsprechung anzupassen.4
Die neue FuE-GVO sorgt für mehr Klarheit und Flexibilität bei der Berechnung der Marktanteile.5 Insbesondere wird der Schutz des Innovationswettbewerbs stärker in den Vordergrund gerückt, d.h. wenn Unternehmen keine Wettbewerber in Bezug auf bereits existierende Produkte oder Technologien sind, aber Wettbewerbsdruck im Hinblick auf Innovationen in neunen Märkte aufeinander ausüben. Hier ist es regelmäßig nicht möglich, Marktanteile zu berechnen.6 In diesem Zusammenhang unterstreicht die FuE-GVO die Befugnisse der Kommission, in problematischen Einzelfällen den Vorteil der Freistellung zu entziehen.7
Der Anwendungsbereich der Spezialisierungs-GVO wird erweitert, um mehr Arten von Produktionsvereinbarungen zu erfassen, die von mehr als zwei Parteien geschlossen werden.8 Auch hier wird ein flexiblerer Ansatz für die Berechnung der Marktanteile eingeführt.9 Kapitel 3 der Horizontal-LL zu Spezialisierungsvereinbarungen enthält nun Erläuterungen zu horizontalen Zuliefervereinbarungen.10
Die geänderten Horizontal-LL enthalten:
Die neuen GVOen sorgen für mehr Klarheit und vereinfachen die Selbsteinschätzung für Unternehmen. Die geänderte Definition von “einseitigen Spezialisierungsvereinbarungen” in der Spezialisierungs-GVO ist insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen mit begrenzten Ressourcen von Bedeutung, für die eine wirksame Spezialisierung die Zusammenarbeit von mehr als zwei Parteien erfordern kann.
Praktiker werden erleichtert sein, dass in der neuen FuE-GVO die traditionelle Marktanteilsprüfung beibehalten wird und nicht, wie im letzten Entwurf der FuE-GVO vorgeschlagen, die Freistellung in Situationen des Innovationswettbewerbs nur auf Fälle beschränkt wird, in denen es drei unabhängige konkurrierende FuE-Projekte zu denselben neuen Produkten oder Technologien gibt, oder die im Wesentlichen identische FuE-Pole verfolgen.
Unternehmen werden das neu strukturierte Kapitel zum Informationsaustausch sowie die klarere Unterscheidung zwischen Einkaufskooperationen und Einkaufskartellen begrüßen. Für Aufsehen sorgt das Kapitel über Nachhaltigkeitsvereinbarungen. Während dieses Kapitel die Prioritäten und Bemühungen der Kommission um ein umweltfreundlicheres und nachhaltigeres Wettbewerbsrecht deutlich macht, enthalten die Leitlinien – trotz der angeregten Diskussion nach der Veröffentlichung der Entwürfe im März 2022 – immer noch hohe Hürden für die Freistellung von Nachhaltigkeitsvereinbarungen, insbesondere aufgrund der Definition der individuellen und kollektiven Verbrauchervorteile, die sich aus den Vereinbarungen ergeben müssen. Die Kommission erinnert erneut daran, dass Unternehmen hierzu eine informelle Beratung über die Einhaltung der EU-Wettbewerbsregeln einholen können.
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