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02.09.2021

Compliance – es lohnt sich doch!

Berücksichtigung von Vortat-Compliance in der kartellrechtlichen Bußgeldzumessung

Ernsthafte Compliance-Bemühungen eines Unternehmens im Zeitraum vor einem Kartellverstoß können im Fall einer späteren Geldbuße zu dessen Gunsten berücksichtigt werden – dies ist eine weitere Neuerung der Anfang des Jahres in Kraft getretenen 10. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen („GWB“).1 Die Einfügung der sogenannten „Compliance-Defense“ erfolgte kurz vor Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens auf Empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie („Wirtschaftsausschuss“). Damit hat der Gesetzgeber sich deutlich positioniert und dem bisher verfolgten schlichten Konzept der Gefährdungshaftung von Unternehmen für die Kartellrechtsverstöße ihrer Mitarbeiter eine Absage erteilt. Unternehmen sind verantwortlich für „angemessene und wirksame Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung“ von Kartellrechtsverstößen, nicht aber in jedem Fall für den Erfolg der Maßnahmen.

Hintergrund

Der Umstand, dass wettbewerbswidrige Verhaltensweisen häufig erst durch unternehmensinterne Compliance-Maßnahmen aufgedeckt und angezeigt werden, rechtfertigt nach den Erläuterungen des Wirtschaftsausschusses die Honorierung von Vortat-Compliance im Rahmen der Bußgeldzumessung als „Compliance-Defense“, wenn sie bereits vor einer Zuwiderhandlung gegen das Kartell- oder Missbrauchsverbot eingeführt wurde.2 Dieser Ratio folgend ist die neu eingefügte Vorschrift formuliert: als abzuwägende Umstände für die Festsetzung der Höhe der Geldbuße kommen nun auch „vor der Zuwiderhandlung getroffene angemessene und wirksame Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung von Zuwiderhandlungen“3 in Betracht. Dabei müssen die Maßnahmen in jedem Fall „angemessen“ sein, wirksam natürlich nur im Hinblick auf die Aufdeckung: bei wirksamer Vermeidung gibt es gar kein Verfahren, bei fehlender Aufdeckung waren die Maßnahmen nicht wirksam.

Anforderungen an die Vortat-Compliance

Wirksamkeit der Maßnahmen

Die jüngst etablierte Compliance-Defense bezieht sich – entsprechend der Erläuterungen des Wirtschaftsausschusses – auf Konstellationen, in denen der Inhaber eines Unternehmens alle objektiv erforderlichen (= angemessenen) Vorkehrungen getroffen hat, um Verstöße gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen durch eigene Mitarbeiter zu verhindern. Den Erläuterungen zufolge ist dies „in der Regel“, d.h. insbesondere dann der Fall, wenn das Compliance-System zu Aufdeckung und Anzeige eines wettbewerbsrechtlichen Verstoßes geführt hat.4

Die EU-Kommission lehnt die Compliance-Defense auf EU-Ebene sehr deutlich ab.5 Der deutsche Gesetzgeber verfolgt dagegen mit Einführung der Compliance-Defense nun den Ansatz, dass die Zuwiderhandlung trotz Compliance-Maßnahmen nicht per se gegen deren Ernsthaftigkeit, bzw. Wirksamkeit spricht. Beides wird, gemäß den Erläuterungen, nur noch dann in Frage gestellt, wenn die Zuwiderhandlung nicht durch eigene Compliance-Maßnahmen aufgedeckt wurde oder die Geschäftsleitung, der Vorstand bzw. eine sonstige für die Leitung einer juristischen Person oder Personengesellschaft verantwortliche Person selbst an dem Kartellrechtverstoß beteiligt war.6 Im zweiten Fall ist von der Unwirksamkeit der getroffenen Maßnahmen insgesamt auszugehen, da die entsprechende für Compliance verantwortliche Leitungsperson diese, stellvertretend für den dafür nach der Ratio verpflichteten jeweiligen Unternehmensinhaber, selbst nicht berücksichtigt hat. In der Folge wird das Ziel, alle objektiv erforderlichen Vorkehrungen in Bezug auf die Unternehmenscompliance getroffen zu haben, verfehlt. Daneben sollte es für die Anwendung der Compliance-Defense unschädlich sein, sofern selbst ordnungsgemäße (hypothetische) Compliance-Maßnahmen die Zuwiderhandlung nicht verhindert oder wesentlich erschwert hätten. Im Übrigen bleibt selbst das grundsätzliche Bemühen eines Unternehmens um Compliance zu dessen Gunsten zu berücksichtigen, wobei die Milderung der Geldbuße auf der anderen Seite dann „allenfalls gering ausfallen“ kann.7

Angemessenheit der Maßnahmen

Art und Umfang der zu etablierenden Compliance-Maßnahmen haben sich im Rahmen der Compliance-Defense, entsprechend der allgemeinen Anforderungen an ein Compliance-Management-System, insgesamt an Art, Größe und Organisation des Unternehmens, der Gefährlichkeit seines Geschäftsgegenstandes, der Mitarbeiterzahl sowie den zu beachtenden Vorschriften und Risiken eines Verstoßes im jeweiligen Einzelfall zu orientieren. Bei kleineren und mittleren Unternehmen mit einem geringen Verletzungsrisiko von kartellrechtlichen Vorschriften sind in der Folge mitunter ausdrücklich „wenige einfache Maßnahmen“ ausreichend und der Zukauf von Programmen bzw. Zertifizierungen nicht erforderlich.8

Kommentar

Die mit der begrüßenswerten Einführung der Compliance-Defense verbundene teilweise Abkehr vom Grundsatz „der Verstoß indiziert den Compliance-Mangel“ entspricht der unternehmerischen Realität: für die kartellrechtlich haftenden Unternehmen ist es trotz entsprechender Bemühungen nicht möglich, Verstöße durch Personen mit „krimineller Energie“ sicher auszuschließen.9 Ein hypothetischer Test, ob Compliance-Maßnahmen Verstöße überhaupt verhindert bzw. wesentlich erschwert hätten, fügt sich somit sinnvoll in die Anwendung der Regelung ein. Zu dieser ist weiter anzumerken, dass Maßnahmen bereits dann als wirksam zu betrachten sind, wenn sie zur Vermeidung oder alternativ zur Aufdeckung einer Zuwiderhandlung geführt haben, in beiden Fällen ist der Zweck der Vorkehrungen erfüllt worden. Daneben muss die Voraussetzung der „Aufdeckung“ so zu verstehen sein, dass bereits die unternehmensinterne Aufdeckung einer Zuwiderhandlung ausreichend für die Wirksamkeit der Compliance ist. Ob ein Unternehmen sich im Anschluss neben der Abstellung des Verstoßes auch zu einer Anzeige bei den Kartellbehörden entscheidet, ist seinem Nachtatverhalten zuzurechnen und deshalb für die hier besprochene Vortat-Compliance im Vorfeld eines Verstoßes ohne Belang.10 Die spätere tatsächliche Anzeige kann somit nicht als notwendiger Schritt dafür gelten, dass der Unternehmensinhaber alle objektiv erforderlichen Vorkehrungen zur Compliance getätigt hat.

Hinsichtlich der Angemessenheit von Compliance-Maßnahmen finden sich im Entwurf der Praktischen Hinweise zum Antrag auf vorzeitige Löschung aus dem Wettbewerbsregister ausführliche Anmerkungen des BKartA, dem Kontext entsprechend, natürlich, in Bezug auf die Selbstreinigung nach einer konkret eingetragenen Zuwiderhandlung. Diese seien jedoch aufgrund einer „grundlegend“ abweichenden Ausganglage nicht auf die Vortat-Compliance zu übertragen.11 In beiden Fällen richtet sich jedoch <– dem widersprechend – der Zweck auf das gleiche Ziel: die Vermeidung eines Kartellrechtsverstoßes. Dass bei der Selbstreinigung der begangene Verstoß die notwendigen Maßnahmen lediglich einengt, spricht nicht gegen deren sinnvolle Übertragung auf das große Ganze. Ein Blick in die Anmerkungen erscheint somit in jedem Fall sinnvoll.

This publication is intended to highlight issues. It is not intended to be comprehensive nor to provide legal advice. Any liability which might arise from the reliance on the information is excluded.

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Quellen

  1. Siehe COMMEO Newsletter aus 01/2021 (Überblick) sowie aus 08/2021 (zum Aspekt relativer Marktmacht).
  2. BT-Drucks. 19/25868 vom 13.1.2021, S. 122.
  3. § 81d Abs. 1 S. 1 Nr. 4 GWB.
  4. BT-Drucks. 19/25868, S. 122.
  5. Siehe Kommission, Wettbewerbsrechtliche Compliance, 2012, S. 21; vgl. Pautke in Schultze, Compliance-Handbuch Kartellrecht, 2. Aufl. 2021, Rn. B 46 mwN.
  6. BT-Drucks. 19/25868, S. 122 f.
  7. BT-Drucks. 19/25868, S. 122 f.
  8. Ibid., S. 123.
  9. Vgl. Schultze in Schultze, Compliance-Handbuch Kartellrecht, 2. Auf. 2021, Rn. A 5 mwN.
  10. Vgl. Schultze in Schultze, Compliance-Handbuch Kar- tellrecht, 2. Auf. 2021, Rn. A 11.
  11. BKartA, Vorzeitige Löschung aus dem Wettbewerbsregister wegen Selbstreinigung – Praktische Hinwiese für einen Antrag (Entwurfsfassung Juni 2021), Rn. 17 ff.

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