Letzte Woche hat das Bundeskartellamt („BKartA“) seinen Jahresbericht 2021/2022 veröffentlicht.1 Der diesjährige Bericht enthält nicht nur „Facts & Figures“, sondern wie von Dr. Robert Habeck (Vizekanzler und Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz) und Andreas Mundt (Präsident des BKartA) im Vor- und Grußwort erläutert, insbesondere auch Informationen zu aktuellen Themen. Hierzu gehören Untersuchungen des BKartA zu den stark steigenden Energie- und Kraftstoffpreisen, zu digitalen Märkten und zu Nachhaltigkeitskooperationen. Ebenfalls angekündigt wird die 11. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen („GWB“), welche sich bereits in der Planungsphase befindet. Dieser Newsletter fasst die relevanten Themen aus dem Jahresbericht zusammen.
Das BKartA verhängte im Jahr 2021 insgesamt Bußgelder i.H.v. € 105 Mio. gegen elf Unternehmen, Verbände und Einzelpersonen.2 Die jährliche Gesamtbußgeldsumme ist damit erneut deutlich zurückgegangen (nach € 349 Mio. in 2020 und € 847 Mio. in 2021).3 Ein erheblicher Anteil der Bußgelder betrifft vertikale Beschränkungen.
Die höchsten Bußgelder (insgesamt € 35 Mio.) verhängte das BKartA gegen Mitglieder eines Kartells zwischen Stahlschmiedeunternehmen aufgrund von unzulässigem Informationsaustausch über Preise, Kosten und Kunden- bzw. Lieferantenverhandlungen. Aufgedeckt wurde das Kartell nach einem Kronzeugenantrag. Daneben wurden – ausgelöst durch Hinweise aus dem Markt – Bußgelder gegen Hersteller von mehrprofiligen Brückendehnfugen aufgrund eines Quotenkartells verhängt.4 Im Bereich der vertikalen Beschränkungen erließ das BKartA zudem Bußgelder in Höhe von € 21 Mio. gegen Hersteller und Einzelhändler von Musikinstrumenten (mitbebußt wurden horizontale Vereinbarung zwischen beiden beteiligten Einzelhändlern), sowie gegen jeweils einen Hersteller von Audioprodukten (€ 7 Mio.) und von Schultaschen (€ 2 Mio.). Die genannten Verfahren wurden im Wege des Settlements abgeschlossen.5
Die Einführung der nun im Gesetz verankerten Kronzeugenregelung mit der 10. GWB-Novelle6 hat bisher zu keinem Anstieg von Kronzeugenanträgen geführt. Im Bereich der Kartellverfolgung führte das BKartA zwei Dawn Raids in den Räumlichkeiten von 16 Unternehmen bzw. Verbänden und in drei Privatwohnungen durch.7
Mit der Anhebung der Transaktionswertschellen von € 25 Mio. auf € 50 Mio. und von € 5 Mio. auf € 17,5 Mio. Anfang letzten Jahres hatte das BKartA mit einem deutlichen Rückgang von Fusionskontrollanmeldungen i.H.v. ca. 40 % gerechnet.8 Tatsächlich haben sich die Fallzahlen jedoch lediglich von 1.236 in 2020 auf etwa 1.000 in 20219 reduziert. Die große Mehrheit der Anmeldungen wurde in Phase I freigegeben, während das BKartA lediglich in zehn Fällen Phase II-Verfahren einleitete: Vier der betroffenen Transaktionen wurden anschließend genehmigt (eine mit Auflagen) und fünf zurückgenommen. Untersagt wurde lediglich eine geplante Fusion im Bereich der Oberflächenentwässerung aufgrund von gemeinsamen Marktanteilen i.H.v. 45-50% und mangels ausreichenden Ausweichalternativen für Kunden.10
In zwei Fällen hat das BKartA aufgrund von nationalen oder lokalen Marktkonzentrationen erfolgreich eine Verweisung des Fusionskontrollverfahrens bei der EU Kommission beantragt und diese nach umfangreichen Kompensationsmaßnahmen bzw. Auflagen freigegeben.11
Das BKartA hat 2021 im Rahmen der Missbrauchskontrolle 18 Verfahren eingeleitet und fünf Verfahren abgeschlossen. Neben seinen Aktivitäten im digitalen Bereich (wie im nächsten Abschnitt erläutert), ist das BKartA unter anderem einer Beschwerde von Condor gegen Lufthansa wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung im Bereich von Zubringerflügen nachgegangen. Lufthansa hatte eine Vereinbarung über die Durchführung von Zubringerflügen für die Langstreckenflüge von Condor gekündigt. Das BKartA untersagte die Kündigung letztlich.12
Weiterhin erteilte das BKartA eine Abmahnung gegenüber der Deutschen Bahn. Das Unternehmen gilt aus Sicht des BKartA im deutschen Eisenbahnmarkt als marktbeherrschend und ist somit verpflichtet, Echtzeit-Bahnverkehrsdaten nicht nur – wie in der vorherigen Praxis – mit ausgewählten Kunden, sondern auch mit Anbietern von Mobilitätsplattformen zu teilen (welche Mobilitätsdienstleistungen häufig in Verbindung mit Zugfahrten anbieten).13
Mit Einführung von § 19a GWB wurde die Missbrauchskontrolle im Bereich Digitale Märkte um ein neues Instrument erweitert. Im ersten Anwendungsschritt prüft das BKartA, ob einem Unternehmen eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt. Anschließend kann das BKartA auf dieser Basis in einem zweiten Schritt bestimmte Verhaltensweisen verbieten (z.B. die Selbstbevorzugung).
Die überragende marktübergreifende Bedeutung von Alphabet/Google,14 Amazon15 und Meta/Facebook16 wurde durch das BKartA bereits festgestellt: die Unternehmen verfügen über digitale Ökosysteme, von denen Dritte abhängig sind. Das Verfahren von Apple läuft derzeit noch. Auf dieser Basis hat das BKartA bereits Verfahren wegen Google‘s Datenverarbeitungsbedingungen und den Services “Google News Showcase” und Google Maps17 eingeleitet. Darüber hinaus untersucht das BKartA die Verknüpfung von Oculus‘ VR-Produkten mit Facebook sowie Amazon‘s Einfluss auf die Preisgestaltung im „Amazon Marketplace“ und eine mögliche Behinderung des Verkaufs von Markenprodukten durch unabhängige Einzelhändler. Gegen Apple liegen bereits Beschwerden zu Tracking-Beschränkungen zugunsten von iOS-Nutzern, zu vorinstallierte Software auf Apple-Produkten sowie zur verpflichtenden Verwendung von Apple‘s In-App-Bezahlsystems vor.18
Auf europäischer Ebene steht der Digital Markets Act (“DMA”), welcher ebenfalls auf die von § 19a GWB erfassten digitalen Gatekeeper abzielt, vor Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens.19 Aus Sicht des BKartA besteht jedoch auch zukünftig Raum für die Koexistenz von beiden Regimen: der DMA ist mit einem konkreten Katalog an erlaubten und verbotenen Verhaltensweisen ausgestattet, während § 19a GWB flexible individuelle Maßnahmen auf nationaler Ebene ermöglicht.20
Im Zusammenhang mit den Folgen der Ukraine-Krise kam es auf dem deutschen Kraftstoffmarkt im Vergleich zur Raffinerie- und Großhandelsebene zu erheblich Preissteigerungen. Das BKartA hat hierzu eine Ad-hoc-Sektoruntersuchung eingeleitet, in der neben Kostenstrukturen und Margen21 auch die Weitergabe des “Tankrabatts” an die Verbraucher untersucht wird. Erste Ergebnisse werden noch im Herbst erwartet. Zudem will das BKartA Mineralölunternehmen zukünftig engmaschig beobachten, u.a. durch den Ausbau der Markttransparenzstelle für Kraftstoffe.22 Trotz der ebenfalls hohen Strom- und Gaspreise sieht das BKartA derzeit keine strukturellen Wettbewerbsprobleme in diesem Bereich und hat deshalb bisher keine Untersuchungen eingeleitet.23
Nachhaltigkeitsaspekte sind zu wichtigen Wettbewerbsparametern geworden. Während unilaterale Nachhaltigkeitsbemühungen von Unternehmen in der Regel als unproblematisch eingestuft werden, erfordert koordiniertes Verhalten (zwischen Wettbewerbern) eine kartellrechtskonforme Ausgestaltung.
Die auf dem Vormarsch befindlichen Nachhaltigkeitsinitiativen waren 2021 im Fokus des BKartA. Insgesamt wurden vier Initiativen bewertet: eine Initiative zur Förderung existenzsichernder Löhne entlang der Lieferkette im Bananensektor, die Initiative Tierwohl24, eine Initiative von Vertreter der deutschen Milcherzeuger im sogenannten Agrardialog Milch25 und das QM+-Programm zur Verbesserung des Tierschutzes in der Milcherzeugung.26 Während die Initiative Agrardialog Milch als wettbewerbswidrig eingestuft wurde, hatte das BKartA in Bezug auf die übrigen Kooperationen keine kartellrechtlichen Bedenken.27
Bei der Prüfung von Nachhaltigkeitsinitiativen legt das BKartA insbesondere folgende Faktoren zugrunde: die Intensität der Wettbewerbsbeschränkung (z.B. durch die Angleichung von Kostenbestandteilen), die Auswirkungen auf Absatzpreise, die Möglichkeit eines diskriminierungsfreien Zugangs zu der jeweiligen Kooperation, die Erarbeitung der Nachhaltigkeitsaspekte in einem offenen Prozess sowie ausreichende Transparenz für den Verbraucher.28
Mit dem Wettbewerbsregister wurde 2021 das erste vollständig digitalisierte staatliche Register eingeführt. Ab Juni 2022 sind öffentliche Auftraggeber ab einem Auftragswert von € 30.000 dazu verpflichtet, Bieterinformationen im Register (mittels einheitlicher elektronischer Abfrage) zu prüfen. Eingetragene Rechtsverstöße (einschließlich Kartellrechtsverstöße) eines Unternehmens können in der Folge zum Ausschluss aus dem öffentlichen Vergabeverfahren führen. Die Abfragemöglichkeit besteht zudem bereits unterhalb der Wertgrenze für öffentliche Auftraggeber; betroffene Unternehmen und Einzelpersonen können eigene Einträge ebenfalls (gegen Gebühr schriftlich oder elektronisch) abrufen.29
Der öffentliche Auftraggeber prüft auf Grundlage aller verfügbaren Informationen, ob ein vergaberechtlicher Ausschlussgrund vorliegt. Somit führt ein Registereintrag nicht automatisch zum Ausschluss vom Vergabeverfahren. Einträge aufgrund eines Kartellrechtsverstoßes werden nach drei Jahren aus dem Register gelöscht, wobei börsennotierte Unternehmen eine vorzeitige Löschung im Wege des Selbstreinigungsverfahrens beantragen können.30
Das BKartA hat bereits im vergangenen Jahr gezeigt, dass es neben bestehender Zuständigkeiten auch seine „neuen“ Zuständigkeiten aus der 10. GWB-Novelle sehr aktiv durchsetzt. Während sich das DMA auf EU-Ebene noch im Gesetzgebungsverfahren befindet, werden die vier großen Digitalkonzerne bereits auf Basis von § 19a GWB geprüft. Auf die stark gestiegenen Energie- und Kraftstoffpreise hat das BKartA mit einer Transparenzinitiative reagiert, anstatt bloß eine strengere (Preis-)Regulierung vorzuschlagen. Eine aktive Rolle übernimmt das BKartA auch bei der Bewertung von Nachhaltigkeitsinitiativen und sonstigen Kooperationen. Erst kürzlich wurde die erste Kooperation zur Abfederung einer möglichen Gasmangellage zugunsten von Zuckerherstellern vom BKartA für einen begrenzten Zeitraum genehmigt.31 Neben einer neuen Agenda für Wettbewerbspolitik hat Dr. Habeck zudem bereits die 11. GWB-Novelle angekündigt. Neben gestärkten Sektoruntersuchungen sollen auch Entflechtungsbefugnisse des BKartA in konsolidierten Märkten sowie erweiterte Möglichkeiten zur Gewinnabschöpfung eingeführt werden.32 Dies bedeutet für Unternehmen unter „Beobachtung” eine völlig neue Art der Regulierung.
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