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23.03.2022

Grünes Kartellrecht

Wie sich das Kartellrecht im Lichte der Nachhaltigkeit entwickelt

Grüne Ökonomie: Die Welt muss nachhaltiger werden. Der Einfluss der ESG- (Environmental, Social, Governance) und CSR-Faktoren (Corporate Social Responsibility) nimmt in allen Branchen stetig zu, Initiativen zu Nachhaltigkeit sind im Vormarsch und waren bereits Inhalt von Bundeskartellamtsprüfungen. Aspekte der Nachhaltigkeit sind damit zu  Wettbewerbsparametern geworden. Während die unilateralen Nachhaltigkeitsbemühungen von Unternehmen regelmäßig unproblematisch sind, muss koordiniertes Verhalten (zwischen Wettbewerbern) am Kartellrecht gemessen werden. Steht das Kartellrecht einer Entwicklung zugunsten des Gemeinwohls damit im Weg?

Hintergrund: Der Green Deal  

Neben der vermehrten Aufmerksamkeit für soziale und ökologische Aspekte hat die Politik die Nachhaltigkeit zur Leitlinie erklärt. Während die Bundesregierung sich seit 2018 an der Agenda 2030 für Nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen orientiert, hat die Europäische Kommission 2019 den European Green Deal vorgestellt, der die Klimaneutralität bis 2050 anstrebt. Und dennoch – die gesellschafts-, politik- und wirtschaftsweite Bedeutung der Thematik generiert keine Unbedenklichkeitsbescheinigung für kartellrechtswidriges Verhalten.

Damit befinden sich Unternehmen im Konfliktfeld zwischen der Erwartung nachhaltigeren Wirtschaftens und den hierfür notwendigen Investitionen, die ihrerseits zu höheren Preisen führen und damit einen Wettbewerbsnachteil befürchten lassen (first-mover disadvantage). Gleichzeitig gilt es dem Versuch des „Greenwashings“, der Einigung auf ein Minimum an „Grün“ und ein Maximum an Preiserhöhungen, entgegenzuwirken.

Kartellrechtliche Einordnung

§ 1 GWB bzw. Art. 101 Abs. 1 AEUV verbieten wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen. Dabei kommt es für die kartellrechtliche Beurteilung auf die dahinter stehende Absicht, erstrebenswerte Gemeinwohlziele zu erreichen, zunächst nicht an. Inwieweit Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern mit Nachhaltigkeitsbezug kartellrechtlich zulässig sind, ist vielmehr eine Frage des Einzelfalls. So kann es bereits an einer Wettbewerbsbeschränkung fehlen, weil die Vereinbarung z.B. keinerlei Absprachen zu Kunden, Preisen, Kosten oder sonstigen wettbewerbsbeschränkenden Parametern enthält und der Fokus primär auf der Steigerung des Angebots nachhaltiger Produkte liegt.

Wird hingegen eine Wettbewerbsbeschränkung angenommen, ist die Möglichkeit der Einzelfreistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV bzw. § 2 GWB zu prüfen. Hierfür muss die Nachhaltigkeitsvereinbarung verschiedene Voraussetzungen erfüllen, insbesondere darf der Wettbewerb nicht wesentlich ausgeschaltet werden und sie muss unter angemessener Verbraucherbeteiligung zu einer Effizienzsteigerung führen.

Die Europäische Kommission hat nun, wie angekündigt, in dem am 01.03.2022 veröffentlichten überarbeiteten Entwurf der Horizontalleitlinien einen separaten Abschnitt 9. zu Nachhaltigkeitsvereinbarungen aufgenommen. Sie bietet damit eine konkrete Guidance für die Prüfung von Nachhaltigkeitsvereinbarungen nach Art. 101 AEUV sowie einer möglichen Freistellung einer solchen Kooperation nach Art. 101 Abs. 3 AEUV. Hilfreich für die Prüfung sind dabei auch die in den Leitlinien aufgeführten Beispiele für zulässige Nachhaltigkeitsvereinbarungen. Interessenvertreter können bis zum 26.04.2022 zu dem Entwurf Stellung nehmen. Das Bundeskartellamt („BKartA“) scheint hingegen nicht an abstrahierenden Leitlinien zur Prüfung von Nachhaltigkeitsinitiativen zu arbeiten. In einem Hintergrundpapier vom 01.10.2020 zeigt das BKartA vielmehr selbst die praktischen und normativen Schwierigkeit auf, den erforderlichen Nachweis quantifizierbarer Verbrauchervorteile zu erbringen und betont die Einzelfallbezogenheit der Prüfung.

Prüfung von Kooperationen

Das BKartA beendete kürzlich die Prüfung dreier Nachhaltigkeitsinitiativen, über die mit Pressemitteilungen vom 18.01.2022 sowie vom 25.01.2022 berichtet wurde.

Gegenstand eines der Verfahren war eine Initiative des deutschen Einzelhandels (LEH) und der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) zu einer Selbstverpflichtung zu gemeinsamen Standards bei Löhnen im Bananensektor, die es zum Ziel hat, existenzsichernde Löhne (Living Wages) entlang der Lieferkette von Eigenmarkenbananen zu fördern. Die Initiative stellt dabei die gemeinsame Einführung verantwortungsvoller Beschaffungspraktiken und die Entwicklung von Prozessen zum Monitoring transparenter Löhne in den Mittelpunkt, wobei das Absatzvolumen dieser Bananen schrittweise erhöht werden soll.

Das BKartA hatte hier keine kartellrechtlichen Bedenken. Es scheint schon den Tatbestand des Kartellverbots nicht als erfüllt anzusehen, da kein Austausch zu Einkaufspreisen, Kosten, Produktionsmengen und Margen stattgefunden hat und zudem keine verpflichtenden Mindestpreise oder Preisaufschläge eingeführt wurden.

Des Weiteren hat sich das BKartA mit der Initiative Tierwohl befasst. Dabei handelt es sich um ein Branchenbündnis aus Landwirtschaft, Fleischwirtschaft und LEH, das zum Ziel hat, Tierhalter für die Verbesserung der Haltungsbedingungen zu honorieren. Kernelement der Initiative ist die Zahlung eines einheitlichen Aufschlages an die teilnehmenden Tierhalter (sog. „Tierwohlentgelt“) über die teilnehmenden Abnehmer. Das BKartA hat die einheitlichen Aufschläge unter Würdigung des Pioniercharakters der Initiative für eine Übergangsphase toleriert und gleichzeitig darauf hingewirkt, dass nach und nach wettbewerbliche Elemente eingeführt werden (so etwa in Form lediglich einer Empfehlung zur Vergütung von Tierwohlkosten anstelle eines fixen Aufschlags).

Schließlich hat das BKartA eine dritte Kooperation geprüft, die eine Initiative der Vertreter deutscher Milcherzeuger im Agrardialog Milch betraf. Vorgestellt wurde ein abgestimmtes Finanzierungskonzept zu Gunsten der Rohmilcherzeuger, das eine nachträgliche Preisstabilisierung des vertraglichen „Milchgelds“ für die landwirtschaftlichen Erzeuger vorsah. Dies sollte durch einen einheitlichen, laufend angepassten Aufschlag auf den Milch-Grundpreis erreicht werden.

Das BKartA hat das Finanzierungsmodell des Agrardialogs Milch als kartellrechtlich unzulässig bewertet. Es sieht darin eine Preisabsprache zulasten der Verbraucher und konnte auch keine konkreten Nachhaltigkeitsaspekte im Modell erkennen. Laut Andreas Mundt, Präsident des BKartA, geht es „um die Verabredung von Preisaufschlägen, die über die Lieferkette bis zum Milchregal durchgereicht werden“.

Kommentar und Ausblick

Das BKartA bleibt bei seiner Linie, Fragen der Nachhaltigkeit als Aspekte im Rahmen der Einzelfallprüfung zu berücksichtigen. Eine darüber hinausgehende Konkretisierung der Rolle von Nachhaltigkeitsaspekten im Kartellrecht bleibt dem Gesetzgeber vorbehalten – im Ampel-Koalitionsvertrag wurde eine Evaluation des GWB u.a. unter diesem Blickwinkel angekündigt. Dennoch zeigt sich das BKartA flexibel gegenüber Nachhaltigkeitsinitiativen, wie aus der jüngsten Fallpraxis deutlich wird. Das BKartA stellt, wie auch die EU Kommission klar, dass ein funktionierender Wettbewerb ein Teil der Lösung ist, der nachhaltige Initiativen in seinen Grenzen zulässt, wobei es Greenwashing mit dem eigentlichen Ziel der Erhöhung der Margen zu verhindern gilt.

Es empfiehlt sich Gemeinwohlkooperationen ob ihrer Einzelfallbetrachtung genau auf ihre kartellrechtliche Vereinbarkeit zu prüfen und, sofern erforderlich, frühzeitig mit dem BKartA in den Dialog zu treten.

Diese Veröffentlichung wurde ausschließlich zu Informationszwecken erstellt. Sie erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und stellt keine Rechtsberatung dar. Jegliche Haftung im Zusammenhang mit der Nutzung der Informationen sowie ihrer Richtigkeit wird ausgeschlossen.