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07.11.2025

Die Teva Copaxone-Entscheidung der Europäischen Kommission: Ein weiteres Kapitel der Kartellrechtsdurchsetzung im Pharmabereich

Ein fokussierter Blick auf das Konzept des Leistungswettbewerbs im Pharma-Kartellrecht nach der EUR 462,6 Mio. Teva-Entscheidung der Europäischen Kommission

Am 31. Oktober 2024 hat die Europäische Kommission („Kommission“) der Kartellrechtsdurchsetzung im Pharmabereich ein neues Kapitel hinzugefügt. Mit der im April 2025 veröffentlichten Teva-Entscheidung (AT.40588) knüpft die Kommission an ihre vorherige Entscheidungspraxis unter anderem in Sachen AstraZeneca1, Servier2 und Vifor3 an und sendet damit eine klare Botschaft: Die IP- und Kommunikationsstrategien von Originatoren im Pharma-Bereich sind nicht immun gegen kartellrechtliche Prüfung. Die Kommission verhängte gegen Teva eine Geldbuße in Höhe von EUR 462,6 Mio. wegen eines zweiteiligen Verstoßes gegen Art. 102 AEUV: der missbräuchlichen Ausnutzung des europäischen Patentsystems einerseits und einer gezielten Herabwürdigungskampagne mit Blick auf Generika-Wettbewerber andererseits.

Die Entscheidung lässt indes auch Fragen offen: Während sich die Kommission in der Teva-Entscheidung auf zwei spezifische Aspekte des Verhaltens des Pharmaherstellers konzentriert, äußert sie sich nicht zu anderen, im Pharmabereich häufig anzutreffenden, Maßnahmen des „Lifecycle Managements“, wie etwa Produktumstellungen („product switching“) oder Eingriffe in das regulatorische Prozedere von Seiten der Pharmahersteller.

Hintergrund

Tevas Blockbuster-Medikament Copaxone (Glatirameracetat, „GA“) wird zur Behandlung der schubförmig remittierenden Multiplen Sklerose eingesetzt. Nach Ablauf des ursprünglichen (Zusammensetzungs-)Patents im Jahr 2015 versuchte Teva sich ihre Marktexklusivität zu bewahren. Die Kommission warf dem Unternehmen eine Verhinderungsstrategie vor, mit dem Ziel, den Markteintritt des von Synthon entwickelten Generikums zu verzögern und zu verhindern.4

Ungeachtet des vielschichtigen Vorgehens von Teva, konzentriert sich die Prüfung der Kommission auf zwei Kernaspekte: erstens den Einsatz patentrechtlicher Teilanmeldungen („divisionals“) zur Verhinderung von Rechtsklarheit und zweitens eine Herabwürdigungskampagne gegen Synthons Generikum. Beide Verhaltensweisen bewertete die Kommission als Teil einer einheitlichen, fortgesetzten Zuwiderhandlung.

Missbrauch Nr. 1: Das „Spiel“ mit Teilpatentanmeldungen („divisionals game“)

Der erste von der Kommission beanstandete Verstoß kritisiert die missbräuchliche Ausnutzung der Vorschriften des Europäischen Patentamts (EPA) zu Teilpatentanmeldungen. Teilpatentanmeldungen sind sekundäre Patentanmeldungen, die von einem „Stammpatent“ abgeleitet werden. Sie teilen denselben Anmeldetag und denselben Offenbarungsgehalt, ermöglichen jedoch neue Anspruchsformulierungen zu unterschiedlichen Aspekten der Erfindung. Bei sinnvoller Verwendung dienen sie der Präzisierung technischer Innovationen. Bei missbräuchlichem Ausnutzen der Regelungen kann jedoch ein undurchsichtiges Geflecht überlappender Schutzrechte geschaffen werden, das faktisch zur Verlängerung von Marktexklusivität führt.

Teva meldete im Jahr 2005 Patente für ein neues Herstellungsverfahren und im Jahr 2010 für ein neues Dosierungsschema (40 mg statt 20 mg) an. In den darauffolgenden acht Jahren folgte eine Serie weiterer Teilpatentanmeldungen. Nach Auffassung der Kommission wiederholten diese weitgehend bereits offenbarten Inhalt und führten zu mehreren Generationen nahezu identischer Ansprüche mit geringem oder keinem erfinderischen Mehrwert.

Die Kommission sah in diesem Vorgehen zwei Missbrauchselemente: (i) die gestaffelte Anmeldung weitgehend inhaltsgleicher Patente und (ii) die gezielte Verhinderung einer rechtlichen Überprüfung dieser Patente.5 Letzteres stand im Fokus der behördlichen Prüfung: Teva habe das Patentsystem strategisch ausgespielt, indem es erst einstweiligen Rechtschutz gegen Generikahersteller erwirkte, nur um dann die Patentanmeldungen vor einer negativen Entscheidung zurückzuziehen. Mit diesem zweigleisigen Vorgehen beugte Teva der finalen gerichtlichen Überprüfung ihrer Patente vor und somit einer Entscheidung, die als Präzedenzfall auch andere Teilpatentanmeldungen hätte zu Fall bringen können.6

Nach Ansicht der Kommission verzögerte Teva die Herstellung von Rechtsklarheit gezielt und blockierte dadurch den Markteintritt von Generikaherstellern.7 Teva habe damit den Rahmen des Leistungswettbewerbs verlassen und seine marktbeherrschende Stellung missbräuchlich ausgenutzt.

Missbrauch Nr. 2: Tevas Herabwürdigungskampagne („disparagement campaign“)

Der zweite Vorwurf betrifft Tevas Kommunikation in der Öffentlichkeit mit Blick auf die Wirksamkeit und Sicherheit generischer Alternativen. Teva startete in Folge des erfolgreichen Zulassungsantrags Synthons für ihr Generikum in der gesamten EU eine koordinierte Kommunikationskampagne, um Zweifel an der Sicherheit, Wirksamkeit und therapeutischen Gleichwertigkeit des Generikums zu säen. Nach  Ansicht der Kommission verbreitete Teva objektiv irreführende Aussagen gegenüber Ärzten, Kostenträgern und Apothekern. Unter anderem betonte Teva geringfügige Unterschiede in der Zusammensetzung zwischen Copaxone und Synthons Generikum, verwies auf Nebenwirkungen anderer, nicht vergleichbarer generischer Varianten und zog die Ergebnisse einer Studie in Zweifel, die als wissenschaftliche Grundlage für die Zulassung des Generikums gedient hatte.

Die Kommunikationskampagne habe das Verschreibungsverhalten von Ärzten und Apothekern und die Erstattungsentscheidungen von Kostenerstattungsstellen in mehreren Mitgliedstaaten beeinflusst und sei ohne objektive Rechtfertigung erfolgt.8 Inhaltlich seien die herabwürdigenden Aussagen Tevas zur Wirksamkeit und Sicherheit des Generikums ohne objektive Rechtfertigung erfolgt und geeignet gewesen, den Wettbewerb zu beschränken.

Nach Auffassung der Kommission überschritt Teva mit dieser Kampagne die Grenze von legitimer, informierender Kommunikation zu wettbewerbswidrigem Verhalten. Teva habe deshalb den Rahmen des Leistungswettbewerbs verlassen und ihre marktbeherrschende Stellung unzulässig abgesichert.

Das Konzept des Leistungswettbewerbs nach Teva: Wo verläuft die Grenze?

Was also ist noch Leistungswettbewerb – und wo beginnt missbräuchliches Verhalten? Im pharmazeutisch-patentrechtlichen Kontext unterscheidet das Konzept des Leistungswettbewerbs zwischen zulässigem, regulatorischem oder wirtschaftlichem Verhalten (einschließlich aggressiver Patentstrategien) und wettbewerbsbeschränkenden Praktiken, für die keine objektive Rechtfertigung besteht. Wie schon in früheren Entscheidungen verzichtet die Kommission auf eine abstrakte Definition des Leistungswettbewerbs und stellt stattdessen auf das wettbewerbsbeschränkende Ergebnis eines Verhaltens ohne legitimes Interesse oder objektive Rechtfertigung ab.

Die Kommission betont in ihrer Teva-Entscheidung erneut: Ein Verhalten kann gegen das Kartellrecht verstoßen, auch wenn es mit dem Patentrecht vereinbar ist.

Ihre Untersuchung und Bewertung stützt die Kommission einmal mehr vor allem auf unternehmensinterne Dokumente, die auf eine gezielte Strategie zur Verhinderung oder Verzögerung des Marktzugangs von Wettbewerbern hinweisen.

Offene Fragen post-Teva

In ihrer Entscheidung nimmt die Kommission explizit nicht Stellung zur kartellrechtlichen Einordnung bestimmter weiterer Elemente der Gesamtstrategie Tevas. Dazu zählen insbesondere:

  • die Umstellung von Patienten von einer 20 mg Dosierung auf eine 40 mg Dosierung (sogenanntes „product hopping“),
  • von Teva erhobene regulatorische Einwände während des Zulassungsverfahrens von Synthons Generikum, sowie
  • von Teva betriebene nationale Gerichtsverfahren zur Verzögerung des Generika-Launches.

Zwar benannte die Kommission diese Maßnahmen als Teil einer umfassenderen „Lifecycle Management“-Strategie, äußerte sich aber nicht zu deren Rechtmäßigkeit. Dies darf indes nicht als Billigung dieser Praktiken verstanden werden. Ähnliches Verhalten wurde bereits im Pharmasektorbericht der Kommission aus dem Jahr 2009 als potenziell missbräuchlich eingestuft.9

Ausblick

Die Teva-Copaxone-Entscheidung verdeutlicht einmal mehr den Fokus der Kommission auf die Verfolgung von Marktmachtmissbrauch im Pharmasektor. Diese konsequente Durchsetzungspolitik zeigte sich zuletzt im September, als die Kommission unangekündigte Durchsuchungen bei einem Pharmaunternehmen wegen mutmaßlich ausschließender Praktiken durchführte, die nach ihrer Auffassung eine wettbewerbswidrige Herabsetzung darstellen könnten.

Am 23. Oktober 2025 bestätigte der EuGH zudem eine Entscheidung der Kommission, mit der Teva und Cephalon wegen einer wettbewerbswidrigen Zahlungsvereinbarung („pay-for-delay agreement“) zur Verzögerung des Markteintritts von Generika sanktioniert worden waren.

Für Unternehmen an der Schnittstelle zwischen Regulatorik, Patentrecht, Kommunikationsstrategie und Kartellrecht ergibt sich daraus eine klare Lehre: Was patentrechtlich oder regulatorisch zulässig ist, ist nicht automatisch kartellrechtlich unbedenklich. Entscheidend ist eine sorgfältige interne und externe Prüfung, um die Grenze zum unzulässigen Verhalten nicht zu überschreiten.

Die Entwicklung bleibt dynamisch – wir bleiben für Sie am Ball.

Diese Veröffentlichung wurde ausschließlich zu Informationszwecken erstellt. Sie erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und stellt keine Rechtsberatung dar. Jegliche Haftung im Zusammenhang mit der Nutzung der Informationen sowie ihrer Richtigkeit wird ausgeschlossen.

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Quellen

  1. Europäische Kommission, Entscheidung vom 15. Juni 2005, AT.37507; vor dem Europäischen Gericht angefochten, Entscheidung vom 1. Juli 2010, T-321/05; und EuGH, Entscheidung vom 6. Dezember 2021, C-457/10 P.
  2. Europäische Kommission, Entscheidung vom 9. Juli 2014, AT.39612; vor dem Europäischen Gericht angefochten, Entscheidung vom 12. Dezember 2018, T-691/14; und EuGH, Entscheidung vom 27. Juni 2024, C-176/19 P.
  3. Europäische Kommission, Entscheidung vom 22. Juli 2024, AT.40577.
  4. Europäische Kommission, Entscheidung vom 31. Oktober 2024, AT.40588, Rn. 3.
  5. Europäische Kommission, Entscheidung vom 31. Oktober 2024, AT.40588, Rn. 1066.
  6. vgl. Europäische Kommission, Pressemitteilung vom 31. Oktober 2024, abrufbar unter: https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/ip_24_5581.
  7. Europäische Kommission, Entscheidung vom 31. Oktober 2024, AT.40588, Rn. 1067 ff, 1146.
  8. Europäische Kommission, Entscheidung vom 31. Oktober 2024, AT.40588, Rn. 1536 ff.
  9. Europäische Kommission, Entscheidung vom 31. Oktober 2024, AT.40588, Rn. 1536 ff.; Europäische Kommission, Pharmaceutical Sector Inquiry, finaler Bericht vom 8. Juli 2009, abrufbar unter: https://competition-policy.ec.europa.eu/system/files/2022-05/pharmaceutical_sector_inquiry_staff_working_paper_part1.pdf.

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