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03.02.2025

EuGH stärkt Legal Privilege

Der Schutzbereich des EU-Legal Privilege erstreckt sich auf jedwede anwaltliche Beratung unabhängig des Rechtsgebiets oder einer konkreten Verteidigungssituation

Das unionsrechtlich anerkannte Legal Professional Privilege („LPP“) schützt bestimmte Korrespondenz zwischen (externen) Rechtsanwälten und Mandanten vor der Kenntnisnahme und Verwertung durch die Kartellbehörden. Werden im Rahmen von Durchsuchungen Dokumente bei Unternehmen sichergestellt, stellt sich stets die Frage, ob diese (teilweise) unter den Schutz des LPP – oder des Anwaltsprivilegs nach deutschem Recht – fallen. Auf europäischer Ebene hat sich der EuGH in der Vergangenheit wiederholt mit der Reichweite des LPP beschäftigt – zuletzt im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens in der Sache Ordre des avocats du barreau de Luxembourg („OABL“).1

Im Jahr 2022 hat der EuGH einen entscheidenden Richtungswechsel zur Herleitung und Reichweite des LPP vollzogen und dieses mit seinem jüngsten Urteil Ende letzten Jahres in Sachen OABL weiter auskonturiert. In der Rechtssache OABL ging es um die Frage, ob das LPP einer Anordnung der luxemburgischen Steuerbehörde gegenüber einer luxemburgischen Kanzlei zur Vorlage von Unterlagen entgegensteht, die deren gesellschaftsrechtliche Beratung einer spanischen Mandantin betreffen.

Was ist neu?

Die Auswirkungen der nunmehr gefestigten EuGH-Rechtsprechung sind weitreichend: Fiel vor der Entscheidung in der Sache Orde van Vlaamse Balies2 nur solche Korrespondenz unter den Schutz des LPP, die im Zusammenhang mit der Verteidigung in einem Verfahren stand, hat der EuGH diese einschränkende Auslegung jetzt aufgegeben. Geschützt ist nunmehr jede Rechtsberatung hinsichtlich Inhalt und Existenz, unabhängig einer konkreten Verteidigungstätigkeit und des betroffenen Rechtsgebiets.

Nach dem EuGH können Personen, die einen Anwalt konsultieren, von Ausnahmefällen abgesehen, vernünftigerweise darauf vertrauen, dass ihre Kommunikation vertraulich bleibt.

Die Entwicklung der EuGH-Rechtsprechung

1982: Die Voraussetzungen des LPP (AM&S)

Der EuGH hat erstmalig im Jahr 1982 im Rahmen seiner Entscheidung in der Sache AM&S3 Stellung zu den Voraussetzungen des LPP bezogen und diese wie folgt definiert:

  1. Der Schriftwechsel mit dem Rechtsanwalt muss mit der Ausübung des „Rechts des Mandanten auf Verteidigung“ in Zusammenhang stehen.
  2. Es muss sich um einen Schriftwechsel handeln, der von „unabhängigen Rechtsanwälten“ ausgeht, d. h. von „Anwälten […], die nicht durch einen Dienstvertrag an den Mandanten gebunden sind“.

2010: „Unabhängigkeit“ (Akzo Nobel)

An dieser Linie hielt der EuGH auch knapp 30 Jahre später in der Sache Akzo Nobel4 aus dem Jahr 2010 fest. Das zweite Erfordernis der Unabhängigkeit von Rechtsanwälten konkretisierte er dahingehend, dass hiervon bei Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses  zwischen Rechtsanwalt und Mandant (d.h. bei Syndikusanwälten) nicht auszugehen sei.5 Zur ersten Voraussetzung verhielt sich der EuGH nicht ausführlich, rüttelte hieran aber auch nicht.

2022: Ordre van Vlaamse Balies

Erst 2022 erfolgte die Kehrtwende. In einem das Steuerrecht betreffenden Fall leitete der EuGH das LPP aus dem Recht zum Schutz der Achtung des Privatlebens aus Art. 7 der Charta der Grundrechte der EU („GRCh“) ab – insoweit ein Novum. Zuvor hatte der EuGH zur Herleitung des LPP stets auf das Recht auf ein faires Verfahren im Sinne der Art. 47 Abs. 2 und 48 Abs. 2 GRCh abgestellt. Hieraus folgte dann auch dessen Beschränkung auf die Verteidigungstätigkeit im Verfahrenskontext. Denn immerhin handelt es sich bei den Art. 47 Abs. 2 und 48 Abs. 2 GRCh um  „Verfahrensgrundrechte“.

Durch die Eröffnung des Schutzbereichs des Art. 7 GRCh auf Achtung der Privatsphäre erübrigt sich die Notwendigkeit eines Verfahrens.

2024: OABL

Diesen Weg hat der EuGH im Fall OABL jetzt fortgeschrieben. Das Urteil behandelt die Frage, ob der Ausspruch in der Sache Orde van Vlaamse Balies auf das Steuerrecht beschränkt oder auf andere Rechtsgebiete auszudehnen ist. Aus Sicht der Autoren war diese Frage bereits aufgrund der allgemeinem Herleitung des LPP zu bejahen. Jetzt besteht endgültig Klarheit. Denn der EuGH führt aus, dass „eine anwaltliche Rechtberatung unabhängig von dem Rechtsgebiet, auf das sie sich bezieht, den verstärkten Schutz genießt, den Art. 7 der Charta der Kommunikation zwischen einem Rechtsanwalt und seinem Mandanten garantiert“.6 Entsprechende Korrespondenz in der kartellrechtlichen Beratung fällt damit auch unter den Schutz des (ausgedehnten) LPP.

Anwendung des LPP in Deutschland

Das deutsche Anwaltsprivileg greift im Vergleich zum LPP unionsrechtlicher Ausprägung deutlich kürzer: Umfasst sind lediglich solche Schriftstücke, die von externen Rechtsanwälten im Rahmen eines konkreten Mandatsverhältnisses und im Zusammenhang mit der Verteidigung und Beratung im laufenden Verfahren, verfasst wurden.

Mit Blick auf die neuere Rechtsprechung des EuGH stellt sich die Frage, inwieweit das engere Verständnis zur Reichweite des deutschen Anwaltsprivileg weiterhin Geltung beanspruchen kann. Gemäß Art. 51 Abs. 1 GRCh sind auch bei restriktiveren nationalen Regelungen die vom EuGH entwickelten Grundsätze – und damit auch das LPP – jedenfalls insofern zu beachten, als durch die Ermittlungsbehörden (auch) Art. 101 und 102 AEUV angewendet werden, was nach Art. 3 Abs. 1 VO 1/2003 bei Ermittlungen des Bundeskartellamt häufig der Fall ist.

In rein nationalen Sachverhalten führen abweichende nationale Regelungen derzeit zu unterschiedlicher Behandlung identischer Sachverhalte. Dieser Zustand steht im Widerspruch zu dem gemeinschaftsrechtlichen Prinzip der Einheitlichkeit der Rechtsordnung sowie des Subsidiaritätsprinzips, demzufolge im Zweifel die gemeinschaftsrechtliche Regelung vorgeht. Nachdem mit der ECN+-Richtlinie7 das nationale Kartellverfahrensrecht „europäisiert“ wurde, ist ein solches Auseinanderfallen von Schutzgarantien ohne sachliche Grundlage kaum zu rechtfertigen. Eine endgültige gerichtliche oder gesetzgeberische Klärung in diesem Zusammenhang steht indes aus. Auch die erhoffte Klarstellung durch das EGMR-Urteil im Fall Jones Day8 blieb aus: Zwar wurde deutlich, dass der mit Art. 7 GRCh wortlautgleiche Art. 8 EMRK bei der Auslegung nationaler Vorschriften berücksichtigt werden muss. Inwieweit sich hiermit aber eine Übertragung der Grundsätze des LPP auf das deutsche Anwaltsprivileg begründen lässt, ließ der EGMR (noch) offen.

Fazit

Dass der EuGH den Schutz des unions-rechtlichen LPP rechtsgebietsübergreifend umfassend auf die Existenz und den Inhalt der anwaltlichen Rechtsberatung erstreckt, ohne dass ein Bezug zu einer konkreten Verteidigungstätigkeit vorliegen muss, ist zu begrüßen. Der Zugriff auf Anwaltskorrespondenz durch die Europäische Kommission und die nationalen Wettbewerbsbehörden – so diese denn EU-Kartellrecht anwenden – wird hierdurch entscheidend erschwert. Misslich ist hingegen, dass der Schutz in Deutschland abseits laufender Kartellverfahren deutlich unter dem EU-Niveau zurückbleibt. Angesichts der grundrechtlichen Herleitung des LPP ist fraglich, ob dieses Auseinanderfallen so noch haltbar ist. Eine Klärung durch den EuGH oder deutschen Gesetzgeber ist wünschenswert.

Diese Veröffentlichung dient ausschließlich Informationszwecke, erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und stellt keine Rechtsberatung dar. Jegliche Haftung im Zusammenhang mit der Nutzung der Informationen sowie ihrer Richtigkeit wird ausgeschlossen.

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Quellen

  1. EuGH, Urteil v. 26. September 2024, C-432/23.
  2. EuGH, Urteil v. 8. Dezember 2022, C-694/20.
  3. EuGH, Urteil v. 18. Mai 1982, AM&S/Kommission.
  4. EuGH, Urteil v. 14. September 2010, C-550/07 P.
  5. EuGH, Urteil v. 14. September 2010, C-550/07 P, Rn. 44.
  6. EuGH, Urteil v. 26. September 2024, C-432/23, Rn. 51.
  7. RICHTLINIE (EU) 2019/1
  8. EGMR, Entscheidung v. 21. November 2024, 1022/19 und 1125/19.

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