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27.02.2025

EuGH: Nationales Recht muss Bündelung kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche ermöglichen, wenn die individuelle Geltendmachung übermäßig schwierig ist

Das Urteil des EuGH betrifft die Vereinbarkeit der deutschen Vorschriften des Rechtsdienstleistungsgesetzes zur kollektiven Geltendmachung von Kartellschäden über das Abtretungsmodell (Sammelklage-Inkasso) mit dem Unionsrecht

In der Sache ASG 21 hat der EuGH entschieden, dass nationale Vorschriften, die die Bündelung individueller Ansprüche zur Geltendmachung von Kartellschadensersatz in sog. stand-alone-Klagen verhindern, mit EU-Recht unvereinbar sind, wenn das nationale Recht keine anderen wirksamen Mittel zur Bündelung vorsieht und es übermäßig schwierig ist, eine Einzelklage zu erheben. Diese Feststellungen obliegen den nationalen Gerichten.

Ausgangsfall und Vorlagefragen

Das Vorabentscheidungsersuchen wurde dem EuGH vom Landgericht Dortmund in einem Verfahren zwischen dem Rechtsdienstleister ASG 2 und dem Land Nordrhein-Westfalen („Land“) vorgelegt. Dort erhob ASG 2 eine Sammelklage auf der Grundlage von Schadensersatzansprüchen, die ihm von 32 Sägewerken nach einem behaupteten Wettbewerbsverstoß des Landes gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV (Vereinheitlichung der Verkaufspreise für Rundholz) abgetreten wurden. ASG 2 ist ein Klagevehikel, das zu dem Zweck gegründet wurde, diese Ansprüche gegen ein Erfolgshonorar gebündelt geltend zu machen. Zuvor hatte das Bundeskartellamt eine Verpflichtungszusagenentscheidung nach § 32b GWB gegen das Land erlassen. Das Land bestreitet die Aktivlegitimation von ASG 2 als Zessionar. Es macht geltend, dass die Abtretungen das anwendbare Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG)2 umgehen, weil die Beitreibung von kartellrechtlich begründeten Schadensersatzforderungen nicht von der Lizenz von ASG 2 als Erbringer von Inkassodienstleistungen umfasst und die Abtretungen damit nichtig sind.

Laut vorlegendem Gericht ergibt sich aus der Rechtsprechung des BGH, dass auch bei Kartellrechtsverstößen Einzelforderungen in Fällen von Masse- oder Streuschäden durch das Abtretungsmodell zusammengefasst werden können.3 Die Instanzgerichte akzeptierten dies jedoch häufig nicht.4 Dies betreffe insbesondere stand-alone-Klagen, bei denen keine bindende Entscheidung einer Wettbewerbsbehörde über den Verstoß vorliegt. Insofern gebe es nach deutschem Recht auch keine andere effektive Möglichkeit der Abhilfe. Das vorlegende Gericht will durch den EuGH klären lassen, ob eine Auslegung des RDG, die das Abtretungsmodell in solchen Fällen ausschließen könnte, mit der Schadensersatzrichtlinie (2014/104), dem Effektivitätsgrundsatz des Unionsrechts und dem Anspruch auf wirksamen Rechtsschutz vereinbar ist.

Es hat die Fragen vorgelegt, (1) ob Unionsrecht einer Auslegung des RDG entgegensteht, die es den durch einen Kartellverstoß Geschädigten verwehrt, ihre Ansprüche zur gebündelten Geltendmachung an Rechtsdienstleister abzutreten, wenn eine bindende Entscheidung der Wettbewerbsbehörde zum Verstoß vorliegt (follow-on-Klagesituation), (2) ob diese Auslegung auch in stand-alone-Klagesituationen ausgeschlossen ist, in denen es eine solche bindende Feststellung des Verstoßes durch eine Wettbewerbsbehörde nicht gibt, und (3) ob das Gericht, wenn diese Auslegung in einer der genannten Situationen ausgeschlossen ist, die nationalen Bestimmungen unangewendet lassen muss, sofern keine Auslegung im Einklang mit Unionsrecht möglich ist.

Entscheidung des EuGH

Da Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits keine follow-on-Klage war – denn eine Verpflichtungszusagenentscheidung der Wettbewerbsbehörde entfaltet keine rechtliche Bindungswirkung – wurde die erste Vorlagefrage vom EuGH als unzulässig zurückgewiesen. Die Entscheidung beschränkt sich damit auf stand-alone-Schadensersatzklagen.

In Beantwortung der beiden übrigen Vorlagefragen entschied der EuGH, dass die nationalen Regelungen unionsrechtskonform so ausgelegt werden müssen, dass eine Abtretung von kartellrechtlichen Schadensersatzansprüchen an einen Rechtsdienstleister zur gebündelte Geltendmachung in einer stand-alone-Schadensersatzklage nicht ausgeschlossen werden darf, soweit (a) das nationale Recht keine andere wirksame und zur Anspruchsdurchsetzung geeignete Möglichkeit zur Forderungsbündelung vorsieht und (b) sich für die Geschädigten in Anbetracht aller Umstände des Einzelfall eine individuelle Schadensersatzklage als unmöglich oder übermäßig schwierig erweist. Denn nach dem Unionsrecht hat ein durch einen Kartellverstoß Geschädigter Anspruch auf vollständigen Schadenersatz. Zwar gehören sowohl die Einführung eines Sammelklagemechanismus als auch die Voraussetzungen für die Abtretung von kartellrechtlichen Schadensersatzansprüchen zu den Modalitäten der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen, die nach ständiger EuGH-Rechtsprechung nicht in der Schadensersatzrichtlinie geregelt sind, sondern in die Regelungszuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen. Jedoch haben diese hierbei u.a. den Effektivitätsgrundsatz sowie das Grundecht auf wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz zu wahren.5

Ob die beiden genannten Voraussetzungen vorliegen, ist vom nationalen Gericht festzustellen. Die Komplexität und damit verbundenen hohen Verfahrenskosten in Fällen von Kartellverstößen führen laut EuGH jedoch für sich genommen nicht zu einer übermäßigen Erschwerung von Einzelklagen, auch wenn eine Anspruchsbündelung geeignet erscheint, diese Belastungen zu reduzieren und damit die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen der Kartellgeschädigten insbesondere in stand-alone-Klagen zu erleichtern. Vielmehr muss das nationale Gericht „auf der Grundlage der Würdigung sämtlicher rechtlicher und tatsächlicher Umstände des Einzelfalls zu der Feststellung gelangen, dass konkrete Gesichtspunkte des nationalen Rechts der Erhebung solcher individuellen Klagen entgegenstehen.“6 Sollte das vorlegende Gericht im konkreten Fall zu diesem Ergebnis kommen, ließe diese Feststellung allerdings die Anwendung der nationalen Vorschriften (des RDG) unberührt, die im Interesse des Schutzes des Einzelnen die Tätigkeiten des Erbringers von Inkassodienstleistungen (hier ASG 2) regeln, u.a. um die Qualität dieser Dienstleistungen, ein angemessenes Niveau der Vergütung des Dienstleister und das Fehlen eines Interessenskonflikts bei diesem zu gewährleisten.7

Scheidet eine Auslegung der nationalen Regelungen oder Praxis (hier des RDG) im Einklang mit dem Anforderungen des Unionsrechts aus, etwa weil die Auslegung contra legem wäre, hat das nationale Gericht die nationale Regelung unangewendet zu lassen.8

Kommentar

Die Entscheidung des EuGH sollte die Erfolgsaussichten von kartellrechtlichen Sammelklagen basierend auf dem in Deutschland üblichen Abtretungsmodell künftig erhöhen. Denn das bislang bestehende Risiko – wie durch die instanzgerichtlichen Entscheidungen manifestiert − dass die Abtretungen nicht mit den Vorgaben des RDG vereinbar waren und damit die Aktivlegitimation des Klagevehikels fehlte, sollte sich in vielen Fällen verringern. Allerdings beschränkt sich die Entscheidung des EuGH auf § 3 RDG, dessen Verletzung insbesondere dann zur Nichtigkeit der Abtretungen führen kann, wenn es dem Rechtdienstleister an der besonderen Sachkunde für die Geltendmachung von kartellrechtlichen Schadensersatzansprüchen fehlt. Dagegen war die Regelung des § 4 RDG, der etwa bei der Gefahr von Interessenskonflikten zwischen den Zedenten und dem Rechtsdienstleister, der wiederum den Anforderungen seiner Prozessfinanzierer gerecht werden muss, eine Nichtigkeit zur Folge hat, nicht Gegenstand des Vorlageverfahrens.

Vor Nichtanwendung des RDG auf die Anspruchsabtretung – dessen unionkonforme Auslegung sollte als contra legem von vornherein ausscheiden – muss das deutsche Gericht zunächst bejahen, dass unter den konkreten Umständen des Einzelfalls eine individuelle Anspruchsdurchsetzung zumindest wesentlich erschwert wird. Dieses vom EuGH aufgegebene Erfordernis birgt das Risiko, dass auch künftig je nach dem entscheidendem Gericht unterschiedliche Ergebnisse befördert werden. Gleiches gilt für die in Deutschland wichtigen Follow-on-Klagen, über die der EuGH hier gerade nicht entschieden hat. Es kann davon ausgegangen werden, dass das vorlegende Landgericht Dortmund im streitgegenständlichen Rundholz-Fall jetzt die Aktivlegitimation von ASG2 bejahen wird.

 

Lukas Meyer, LL.M. 

Dr. Dominique Wagener, LL.M.

 

Diese Veröffentlichung wurde ausschließlich zu Informationszwecken erstellt. Sie erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und stellt keine Rechtsberatung dar. Jegliche Haftung im Zusammenhang mit der Nutzung der Informationen sowie ihrer Richtigkeit wird ausgeschlossen.

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Quellen

  1. EuGH, Urt. v. 28.1.2025, C-253/23 – ASG 2.
  2. Gesetz über außergerichtliche Rechtsdienstleistungen v. 12.12.2007, BGBl. 2007 I, 2840.
  3. LG Dortmund, Beschluss v.13.03.2023 – 8 O 7/20 (Kart), WuW 1433634, 233.
  4. LG Mainz, Urt. v. 7.10.2022, 9 O 125/20; OLG Stuttgart, Urt. v. 15.8.2024, 2 U 30/22 – Rundholzkartell; vgl. zuletzt OLG München, Urt. v. 6.6.2024, 29 U 4041/19 (Kart) – LKW-Kartell.; siehe den COMMEO Newsletter 07/20.
  5. EuGH, Urt. v. 28.1.2025, C-253/23 – ASG 2, Rn. 70 ff.
  6. Ebenda, Rn. 86.
  7. Ebenda, Rn 87, 92.
  8. Ebenda, Rn. 90 f.

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