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23.07.2021

2020 im Rückblick: „Business as usual“ trotz Corona?

Ein Überblick über die Tätigkeiten und wichtigsten Verfahren des Bundeskartellamts und der Europäischen Kommission im letzten Jahr

Im Juni veröffentlichte das Bundeskartellamt („BKartA“) seinen Tätigkeitsbericht für die Jahre 2019/20 und seinen Jahresbericht für den Zeitraum 2020/21.1 Anfang Juli veröffentlichte auch die Europäische Kommission („Kommission“) ihren Bericht über die Wettbewerbspolitik für das Jahr 2020.2 Wie in der Vergangenheit informieren beide Wettbewerbsbehörden über relevante Verfahren, legislative Neuerungen und kartellrechtspolitische Entwicklungen. Dieser Newsletter fasst die wichtigsten Fakten und Zahlen der Berichte zusammen.

Inhaltlich geprägt sind die Berichte von den Herausforderungen, denen sich Unternehmen, Kartellbehörden und der Wettbewerb im Allgemeinen pandemiebedingt und aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung der Märkte, die sich durch die Pandemie noch einmal beschleunigt hat, im letzten Jahr ausgesetzt sahen.

Beide Behörden betonen, dass sich das Kartellrecht als ausreichend flexibel erwiesen hat, krisenbedingte Kooperationen bei der Produktion, Logistik, Verteilung und Lagerhaltung sowie das Wiederhochfahren komplexer Lieferketten wettbewerbskonform auszugestalten. Unternehmen können sich zudem an einer Mitteilung der Kommission orientieren, in der die wichtigsten Kriterien für die Bewertung von Kooperationen dargelegt sind. Zusätzlich wurde ein befristetes Instrument von ad hoc ausgestellten Unbedenklichkeitsbescheinigungen eingeführt.3

Der Digitalisierung wurde auf nationaler Ebene mit der Einführung neuer Kompetenzen mit der 10. GWB-Novelle4 und der Einrichtung einer neuen Schwerpunktabteilung für den Bereich „Digitale Wirtschaft“ innerhalb des BKartA Rechnung getragen, während im Rahmen der Digitalstrategie der EU mit dem Digital Markets Act (DMA), der bereits im Entwurf vorliegt, ein unionsweit sicheres digitales Umfeld für Nutzer und wirksamer Wettbewerb geschaffen werden soll.5 Doch entgegen des möglichen Eindrucks war in den Berichtszeiträumen nicht ausschließlich das Verhalten großer Digitalkonzerne Gegenstand kartellbehördlicher Verfahren.

Kartellverfolgung

Die Verfolgung und Ahndung von Kartellen im Rahmen von Bußgeldverfahren bildet weiterhin einen Tätigkeitsschwerpunkt der Kartellbehörden. Die Anzahl der Kronzeugenanträge beim BKartA ging erneut zurück, von 16 im Jahr 2019 auf 13 im Jahr 2020. Insofern setzt sich der unionsweit zu beobachtende Trend rückläufiger Kronzeugenanträge seit der Umsetzung der EU-Kartellschadenersatzrichtlinie auch in Deutschland fort. Gleichzeitig gingen in den Jahren 2019/20 fast 700 Hinweise über das anonyme Hinweisgebersystem des BKartA ein. Insgesamt erließ das Amt Bußgelder gegen Unternehmen und natürliche Personen in Höhe von € 847 Mio. in 2019 und € 349 Mio. in 2020.6 Betroffen waren insbesondere die Branchen Stahl- und Aluminiumverarbeitung (insgesamt wurden gegen die Stahlindustrie seit 2018 Bußgelder in Höhe von € 1 Mrd. verhängt), Herstellung von Straßenkanalgussprodukten (Auslöser dieses Verfahrens war ein anonymer Hinweis) oder Großhandel von Pflanzenschutzmitteln. Das durchschnittliche Bußgeld gegen natürliche Personen betrug im Jahr 2020 € 77.000.

Mit Inkrafttreten der 10. GWB-Novelle und der Einführung eines gesetzlichen Kronzeugenprogramms wurde die bisherige Bonusregelung des BKartA aufgehoben. Das BKartA wird wohl zeitnah allgemeine Verwaltungsgrundsätze über die Ausübung seines Ermessens bei der Anwendung des Kronzeugenprogramms veröffentlichen.7

Die Kommission erließ 2020 Bußgelder in Höhe von € 288 Mio., insbesondere im Chemiesektor und in den Bereichen Verpackungen für den Lebensmitteleinzelhandel und Autoteile.8

Fusionskontrolle

Das BKartA verzeichnete im Jahr 2020 einen geringfügigen Rückgang von Anmeldungen.9 Eine krisenbedingte Fusionswelle ist, ebenso wie eine besonders hohe Zahl an Sanierungsfusionen, ausgeblieben. Neun der insgesamt 1236 angemeldeten Zusammenschlüsse wurden im Rahmen eines Hauptprüfverfahrens einer eingehenderen Prüfung unterzogen. In sieben Fällen erfolgten – teilweise verbunden mit Auflagen – Freigaben, zwei Zusammenschlussvorhaben wurden bei laufender Prüfung von den Parteien aufgegeben.10

Das BKartA geht nach den ersten Erfahrungen davon aus, dass durch die Anhebung der nationalen Schwellenwerte im Rahmen der 10. GWB-Novelle die Anzahl der anmeldepflichtigen Zusammenschlüsse um mehr als 40% zurückgehen wird.11 Das Amt wird die freiwerdenden Ressourcen dazu nutzen, um gezielt geplante Akquisitionen kleinerer Zielunternehmen unterhalb der Schwellenwerte zu prüfen, wenn es in bestimmten Wirtschaftszweigen klare Hinweise auf relevante Wettbewerbsbeeinträchtigungen gibt. Voraussetzung für die Anwendung dieser neuen Kompetenz ist jedoch, dass das BKartA in dem betroffenen Wirtschaftszweig zuvor eine Sektoruntersuchung durchführt.

Im Berichtszeitraum wurde der 2017 eingeführte Transaktionsschwellenwert durch das Bundeswirtschaftsministerium evaluiert. Bisher wurde noch keine vertiefte wettbewerbliche Prüfung auf Basis von § 35 Abs. 1a GWB eingeleitet (etwa gegen eine „Killer Acquisition“). Bei den geprüften Fällen hatte der Technologiesektor einen geringeren und der Pharmasektor einen höheren Anteil als erwartet.12

Auch die Kommission verzeichnete 2020 einen leichten Rückgang an Fusionskontrollanmeldungen. Sie hatte über 352 Fälle zu entscheiden; 13 Zusammenschlüsse wurden unter Auflagen in der ersten Phase, drei in der zweiten Phase sowie ein Zusammenschluss in der zweiten Phase ohne Auflagen genehmigt. Das vereinfachte Verfahren fand bei 76% aller angemeldeten Vorhaben Anwendung.13

Missbrauchsaufsicht

Im Berichtszeitraum konzentrierte sich die Missbrauchsaufsicht, als Mittel zur Kontrolle marktbeherrschender Unternehmen, im Wesentlichen auf die Verhaltensweisen von Digitalkonzernen, insbesondere den sog. „GAFAs“.14

Gestützt auf den neuen § 19a GWB hat das Amt in den letzten Monaten Verfahren gegen Google, Amazon, Facebook und Apple eingeleitet.15 Unter Rückgriff auf die „traditionellen“ Eingriffsbefugnisse der Missbrauchsaufsicht war das Amt jedoch auch außerhalb der Digitalmärkte tätig. Insgesamt eröffnete es im letzten Jahr 17 Verfahren und konnte eines abschließen.16

Die Kommission eröffnete im Berichtszeitraum gleich vier Verfahren gegen Apple und überprüft aktuell u.a. inwieweit die alternativlose Nutzung von Apple Pay für In-App Käufe einen Missbrauch von Marktmacht darstellt. Weiterhin beschäftigt die Kommission etwa die Frage, ob Amazon auf seinem Marktplatz eigene Einzelhandelsangebote und Angebote von Verkäufern bevorzugt, welche die Logistik- und Zustellungsdienste von Amazon nutzen.17 Zudem verhängte die Kommission einstweilige Maßnahmen gegen Chip-Hersteller Broadcom18 wegen missbräuchlicher Exklusivitätsvereinbarungen.

Vertikale Wettbewerbsbeschränkungen

Im Bereich vertikaler Wettbewerbsbeschränkungen stand der Online-Handel im Fokus des BKartA; hier legt das BKartA insbesondere darauf Wert, dass die Qualitätsanforderungen im Rahmen selektiver Vertriebssysteme für den stationären und den Online-Vertrieb vergleichbar sind.19 Die Kommission verhängte in zwei Verfahren Bußgelder in Höhe von insgesamt € 21 Mio. wegen Vertragsbestimmungen, die jeweils die Aufteilung des Binnenmarktes zur Folge hatten.20

Sektoruntersuchungen

Im Berichtszeitraum hat das BKartA Untersuchungen zu Vergleichsportalen, Smart-TVs und Nutzerbewertungen im Internet abgeschlossen. Neue Untersuchungen wurden etwa in den Bereichen Messenger- und Videodienste, Online-Werbung oder der öffentlich zugänglichen Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge eingeleitet.21

Mit dem Ziel, ein besseres Verständnis der Funktionsweise und der wettbewerbsrechtlichen Relevanz des „Internets der Dinge“ zu erlangen, schaut sich die Kommission seit Juli 2020 diesen Bereich genauer an.22

Wettbewerbsregister

Betraut mit der Aufgabe der Registerbehörde hat das BKartA den Aufbau des Wettbewerbsregisters abgeschlossen, Deutschlands erstes voll digitalisiertes staatliches Register. Öffentliche Auftraggeber sind zukünftig ab einem bestimmten Auftragswert verpflichtet, über das Register bei Vergabeverfahren zu prüfen, ob Unternehmen an Wirtschaftsdelikten (einschl. Kartellrechtsverstößen) beteiligt waren und deshalb von einem Auftrag auszuschließen sind. Das Register hat offiziell seinen Betrieb aufgenommen, die Abfragepflicht besteht jedoch erst entsprechender Bekanntgabe im Bundesanzeiger.23 Sind Unternehmen im Register eingetragen, können sie vor Zeitablauf eine vorzeitige Löschung durch eine Selbstreinigung beantragen. Zum Zwecke der öffentlichen Konsultation hat das BKartA im Juni 2021 Leitlinien und praktische Hinweise für Löschungsanträge veröffentlicht.24

Kommentar

Die Corona-Pandemie mag die Kartellbehörden vor Herausforderungen gestellt haben, dies hat aber keinesfalls zu einem Erliegen ihrer Tätigkeiten geführt. Zwar sahen BKartA und Kommission zu Beginn der Pandemie von Durchsuchungen weitestgehend ab, inzwischen haben jedoch erste Durchsuchungen mit entsprechendem Hygiene-Konzept wieder stattgefunden. Vor diesem Hintergrund ist zu beachten, dass das BKartA seit der 10. GWB-Novelle mit neuen Ermittlungsbefugnissen ausgestattet ist (es bestehen nunmehr bußgeldbewehrte Mitwirkungspflichten des Unternehmens während der Durchsuchung) und auch mittels Auskunftsersuchen die Herausgabe von Unterlagen und Erteilung von Auskünften verlangen kann.25

Weiterhin bleibt festzuhalten, dass das BKartA seine selbsterklärte Vorreiterrolle im Bereich der Digitalwirtschaft weiter ausgebaut hat. Die nächsten Monate werden zeigen, inwiefern die laufenden Verfahren gegen die GAFAs zwischen den Wettbewerbsbehörden koordiniert  oder bei der Kommission konzentriert werden.

Abschließend sei darauf hingewiesen, dass der 2020 sehr kontrovers diskutierte Gesetzentwurf eines Verbandssanktionengesetzes, der eine erweiterte Strafbarkeit von Unternehmen vorsah, nunmehr gescheitert ist.26 Somit ist vorerst mit keinen weiteren einschneidenden Gesetzesänderungen in Deutschland im Bereich des Kartellrechts zu rechnen. Auf Unionsebene ist dagegen weiterhin einiges im Fluss: neben dem DMA steht die Überprüfung der wichtigsten Gruppenfreistellungsverordnungen und Leitlinien, einschließlich der Vorschriften zu Vertriebs- und Liefervereinbarungen und horizontalen Kooperationsvereinbarungen sowie der Bekanntmachung über die Marktabgrenzung auf der diesjährigen Agenda der Kommission.

 

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